DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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Einleitung

1. Die Geister haben immer gesagt: „Die Form bedeutet nichts, der Gedanke ist alles. Betet, jeder von euch gemäß eurer Überzeugung und in der Art und Weise, welche euch am besten liegt; ein guter Gedanke bedeutet weit mehr, als zahllose Worte, bei denen das Herz nicht beteiligt ist.“


Die Geister schreiben keine einzige absolute Gebetsformel vor. Und wenn sie eine geben, beabsichtigen sie damit, die Gedanken zu leiten und insbesondere die Aufmerksamkeit auf gewisse Prinzipien der spiritistischen Lehre zu lenken. Das Ziel ist auch, denjenigen zu helfen, die Schwierigkeiten haben, ihre Gedanken zu äußern, denn unter diesen könnten sich einige befinden, die denken, nicht richtig gebetet zu haben, wenn ihre Gedanken nicht ausformuliert waren.


Die Sammlung der Gebete in diesem Kapitel ist eine Auswahl von deren, die von den Geistern bei verschiedenen Gelegenheiten diktiert wurden. Sie hätten auch andere Gebete formulieren können, je nach vorgegebenen Ideen oder Sonderfällen. Die Form ist nicht maßgebend, wenn der Grundgedanke der gleiche ist. Die Absicht des Gebetes ist es, unsere Seele Gott näher zu bringen. Die Vielfältigkeit der Formulierungen darf keinerlei Unterschied machen unter denjenigen, die an ihn glauben und noch weniger unter den Bekennern des Spiritismus, da Gott alle Gebete annimmt, wenn sie aufrichtig gesprochen werden.


Man soll deshalb diese Sammlung nicht wie ein absolutes Formelbuch betrachten, sondern wie eine vielfältige Auswahl der Anweisungen, die uns die Geister erteilen. Sie ist eine Anwendung der in diesem Buch aufgeführten Prinzipien der christlichen Moral, eine Ergänzung zu ihren Eingebungen über unsere Pflichten gegenüber Gott und unserem Nächsten, bei denen an alle Prinzipien der Lehre wieder erinnert wird.


Der Spiritismus erkennt alle Gebete sämtlicher Kulte als gut an, wenn sie aus dem Herzen und nicht nur als Lippenbekenntnis gesprochen werden. Er schreibt kein Gebet vor und rügt auch keins. Gott ist für ihn zu groß, um die Stimme, die IHN anfleht oder anpreist, zurückzustoßen, nur weil sie es auf diese oder jene Art macht. Wer auch immer die Gebete verurteilt, die nicht in seinem Gebetsbuch sind, würde beweisen, dass er die Größe Gottes verkennt. Daran zu glauben, dass Gott an einer bestimmten Formel festhält, hieße, IHM die Kleinheit und Leidenschaften der Menschheit zuzuschreiben.


Gemäß dem heiligen Paulus (Kap. XXVII, Nr. 16), ist die Verständlichkeit eine wesentliche Bedingung des Gebets, damit es unseren Geist ansprechen kann. Es ist deshalb unzureichend, wenn es in einer Sprache gesprochen wird, die nur derjenige versteht, der betet. Es gibt volkstümliche Gebete, die unserem Verstand ebenso wenig sagen, wie ein in einer Fremdsprache gesprochenes und die deshalb das Herz nicht anrühren. Und die wenigen Gedanken, die darin enthalten sind, werden oft noch durch die Überfülle der Worte und den Mystizismus der Sprache erstickt.


Die wichtigste Eigenschaft des Gebetes ist, klar zu sein, einfach und kurz gefasst, ohne unnötigen Phrasen und ohne überflüssige Beiworte, die nichts anderes als kitschiger Zierrat sind. Jedes Wort muss verständlich sein, einen Gedanken erwecken und das Herz in Bewegung setzen, kurz gesagt: es soll zum Nachdenken anregen. Nur unter dieser Bedingung kann das Gebet sein Ziel erreichen, ansonsten ist es nichts als Lärm. Seht daher, mit welcher Zerstreutheit und Zungenfertigkeit die Gebete gesprochen werden, man sieht die Lippen, die sich bewegen, aber an dem Gesichtsausdruck und selbst an dem Tonfall erkennt man eine mechanische, rein äußerliche Handlung, bei welcher die Seele unbeteiligt bleibt.


Die in dieser Sammlung aufgeführten Gebete sind in 5 Kapitel eingeteilt:
I. Allgemeine Gebete
II. Gebete für sich selbst
III. Gebete für die Lebenden
IV. Gebete für die Verstorbenen
V. Besondere Gebete für die Kranken und die Besessenen


Mit dem Ziel, insbesondere die Aufmerksamkeit auf den Zweck jedes Gebetes zu lenken und dadurch die Bedeutung verständlicher zu machen, sind alle Gebete nach dem Titel mit einem Vorwort versehen, einer Art Erläuterung zum Thema.