Das Buch der Geister

Allan Kardec

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871. Da Gott alles weiß, so weiß er auch, ob ein Mensch in einer Prüfung unterliegen wird, oder nicht. Worin liegt dann aber die Notwendigkeit dieser Prüfung, da ja Gott nichts lehren kann, was er nicht schon von diesem Menschen wüsste?
„Du könntest ebenso gut fragen, warum Gott den Menschen nicht vollendet und vollkommen geschaffen habe (119.), warum der Mensch die Kindheit durchläuft, bevor er ein Erwachsener wird (379.). Die Prüfung hat nicht zu ihrem Zweck, Gott über das Verdienst dieses Menschen aufzuklären, denn Gott weiß vollkommen, was derselbe wert ist, – sondern dem Menschen die volle Verantwortlichkeit für sein Tun zu lassen, da er frei ist, es wirklich zu tun oder es zu lassen. Da der Mensch zwischen dem Guten und Bösen die Wahl hat, so hat die Prüfung die Wirkung, dass er der Versuchung ausgesetzt wird, so dass ihm, wenn er ihr widersteht, das Verdienst ganz allein gehört. So kann also Gott, obwohl er sehr wohl voraus erkennt, ob er siegen wird oder nicht, in seiner Gerechtigkeit ihn weder bestrafen noch belohnen für eine Handlung die nicht ausgeführt ward.“ (258.)


So ist es auch unter den Menschen. So fähig auch ein Bewerber, so gewiss man auch seines Erfolgs sei, man gibt ihm keine Stelle ohne Examen, d.h. ohne Prüfung. Ebenso verurteilt ein Richter den Angeklagten nur wegen einer vollbrachten Tat und nicht auf die bloße Vermutung oder Voraussicht hin, dass er sie vollbringen könne oder werde. Je mehr man über die Folgen nachdenkt, die für den Menschen aus seinem Wissen von der Zukunft entstehen müssten, desto mehr sieht man, wie weise die Vorsehung war, sie ihm zu verbergen. Die Gewissheit eines glücklichen Ereignisses würde ihn in Tatenlosigkeit versetzen, die Gewissheit eines unglücklichen ihn entmutigen. In beiden Fällen würde seine Kraft geschwächt. Darum wird die Zukunft dem Menschen nur als ein Ziel gezeigt, das er durch seine Anstrengungen erreichen soll, ohne dass er jedoch die Reihe der Dinge vorauswissen darf, welche er durch – zumachen hat, um es zu erreichen. Die Kenntnis aller Vorfälle seines Weges beraubte ihn seiner Initiative und des Gebrauchs seines freien Willens, er ließe sich an den verhängnisvollen Abgrund der Ereignisse reißen, ohne seine Widerstandskraft zu gebrauchen. Wenn der Erfolg von etwas gesichert ist, so kümmert man sich nicht weiter darum.