Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Kapitel III - Der Himmel

1. Das Wort "Himmel” wird im Allgemeinen für den unbegrenzten Raum gebraucht, welcher die Erde umgibt, und im Besonderen für den Teil des Raumes, welcher über unserem Horizont liegt. Es kommt aus dem Lateinischen "coelum", gebildet vom griechischen "koilos", hohl, hohlrund, weil der Himmel den Augen als eine ungeheure runde Höhlung erscheint. Die Alten glaubten an das Dasein mehrerer übereinander gelagerter Himmel, die aus einem festen, durchscheinenden Stoff bestünden und ineinander liegende Kugeln bildeten, deren gemeinsamer Mittelpunkt die Erde sei. Diese sich um die Erde drehenden Kugeln zögen die Gestirne in ihrem Umkreis mit sich fort.

Diese Vorstellung, die aus den unzureichenden astronomischen Kenntnissen herrührte, war die Grundlage aller Götterentstehungslehren, die aus den so aufsteigenden Himmeln die verschiedenen Stufen der Seligkeit machten; der letzte war der Aufenthaltsort der höchsten Glückseligkeit. Nach der gängigsten Meinung gab es deren sieben; daher der Ausdruck: "im siebten Himmel sein", der ein vollkommenes Glück bezeichnen soll. Die Moslems nehmen neun an, mit zunehmender Glückseligkeit der Gläubigen in jedem von ihnen. Der Astronom Ptolemäus (lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. in Alexandria, Ägypten) zählte elf; deren letzter "Empyräum" (aus dem griechischen “pür” oder “pyr” für Feuer) hieß, wegen des strahlenden Lichtes, das dort herrscht. Das ist noch heute der dichterische Name für den Ort der ewigen Herrlichkeit. Die christliche Theologie erkennt drei Himmel an. Der erste ist die Region der Luft und der Wolken; der zweite ist der Raum, in dem sich die Gestirne bewegen; der dritte, jenseits der Region der Gestirne, ist die Wohnung des Höchsten, der Aufenthaltsort der Erwählten, welche Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Entsprechend dieser Glaubensvorstellung sagt man, der heilige Paulus sei in den dritten Himmel entrückt worden.


2. Die verschiedenen, den Aufenthalt der Seligen betreffenden Lehren beruhen alle auf dem zweifachen Irrtum, dass die Erde der Mittelpunkt des Weltalls und das Gebiet der Sterne begrenzt sei. Jenseits dieser erdachten Grenze haben alle jenen beglückten Aufenthalt und die Wohnung des Allmächtigen hin verlegt. Eine einzigartige Anomalie, die den Urheber aller Dinge, den, der sie alle regiert, an die Grenzen der Schöpfung stellt anstatt in den Mittelpunkt, von dem aus das Ausstrahlen seines Gedankens sich auf alles erstrecken könnte!


3. Die Wissenschaft hat, mit der unerbittlichen Logik der Tatsachen und der Beobachtung, ihre Fackel bis hinein in die Tiefen des Raumes getragen und das Nichts aller dieser Theorien aufgezeigt. Die Erde ist nicht mehr der Mittelpunkt des Weltalls, sondern einer der kleinsten Planeten, die im Weltraum kreisen. Die Sonne selbst ist nur der Mittelpunkt eines Wirbels von Planeten. Die Fixsterne sind zahllose Sonnen, um die zahllose Welten kreisen, getrennt durch Entfernungen, die unserem Denken kaum zugänglich sind, obgleich es uns scheint, als berührten sie einander. In diesem Ganzen, das mittels ewiger Gesetze gelenkt wird, in denen sich die Weisheit und Allmacht des Schöpfers offenbaren, erscheint die Erde nur als ein unmerklicher Punkt und als einer für die Bewohnbarkeit am wenigsten begünstigten. Aus diesem Grund fragt man sich, warum Gott daraus den einzigen Sitz des Lebens gemacht und seine Lieblingsgeschöpfe dorthin verbannt haben sollte. Im Gegenteil, alles verkündet, dass das Leben überall ist, dass die Menschheit unendlich ist wie das Universum. Da die Wissenschaft uns der Erde ähnliche Welten enthüllt, so konnte Gott dieselben nicht zwecklos erschaffen haben; er hat sie mit Wesen bevölkern müssen, die fähig sind, dieselben zu beherrschen.


4. Die Ideen des Menschen stehen im Verhältnis zu dem, was er weiß. Wie alle wichtigen Entdeckungen, so hat die der Anordnung der Welten ihnen einen anderen Kurs geben müssen. Unter der Herrschaft dieser neuen Kenntnisse haben sich die Glaubensvorstellungen wandeln müssen. Der Himmel ist verlegt worden. Die Region der Sterne, unbegrenzt wie sie ist, kann ihnen nicht mehr als solche dienen. Wo ist er? Angesichts dieser Frage bleiben alle Religionen stumm.

Der Spiritismus kommt und löst sie, indem er die wahre Bestimmung des Menschen aufzeigt. Wenn man die Natur dieses letzteren und die Eigenschaften Gottes als Ausgangspunkt nimmt, gelangt man zu Schlüssen; d.h. ausgehend vom Bekannten gelangt man zum Unbekannten durch logische Beweisführung, gar nicht zu reden von den unmittelbaren Beobachtungen, die die Spiritistische Lehre erlaubt.


5. Der Mensch ist aus Körper und Geist zusammengesetzt. Der Geist ist das grundlegende Wesen, Vernunftwesen, intelligente Wesen. Der Körper ist die materielle Hülle, in die der Geist sich zeitweise kleidet, um seine Aufgabe auf Erden zu erfüllen und die für sein Vorwärtskommen nötige Arbeit auszuführen. Der Körper nutzt sich ab und der Geist überlebt diese Zerstörung. Ohne den Geist ist der Körper nur eine träge Materie, wie ein Werkzeug, dem der Arm beraubt ist, der es in Tätigkeit setzt. Ohne den Körper ist der Geist alles: Leben und Intelligenz, der Träger und Ursache von beiden. Beim Verlassen des Körpers kehrt er in die spirituelle Welt zurück, von der er ausgegangen war, um sich zu inkarnieren.

Es gibt also eine körperliche Welt, die sich zusammensetzt aus inkarnierten Geistern, und eine spirituelle Welt, gebildet aus desinkarnierten Geistern. Die Wesen der körperlichen Welt sind, eben durch das Bestehen ihrer materiellen Hülle, an die Erde oder an irgendeine Weltkugel gebunden. Die Geisterwelt ist überall, um uns herum und im Raum; ihr ist keine Grenze zugewiesen. Entsprechend der fluidischen Natur ihrer Hülle durchschreiten die Wesen, die sie bilden, statt sich mühsam über den Boden zu schleppen, mit der Schnelligkeit des Gedankens die Entfernungen. Der Tod des Körpers ist der Bruch der Bande, die die Wesen gefangen hielten.


6. Die Geister sind einfach und unwissend erschaffen, aber mit der Fähigkeit, alles zu erwerben und fortzuschreiten, Kraft ihres freien Willens. Durch den Fortschritt erlangen sie neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Wahrnehmungen und infolgedessen neue Freuden, die den niederen Geistern unbekannt sind. Sie sehen, hören, fühlen und begreifen das, was die zurückgebliebenen Geister weder sehen noch hören, fühlen oder begreifen können. Das Glück entspricht dem erzielten Fortschritt, so dass von zwei Geistern der eine nicht ebenso glücklich sein kann, wie der andere, einzig darum, weil er nicht ebenso geistig und moralisch vorangeschritten ist, ohne dass jeder an einem anderen Ort sein müsste. Obwohl sie an der Seite des anderen stehen, kann der eine in Finsternis sein, während um den anderen alles in strahlendem Glanze steht, ganz wie bei einem Blinden und einem Sehenden, die einander die Hand reichen. Der eine nimmt das Licht wahr, das auf seinen Nachbarn keinerlei Eindruck macht. Da das Glück der Geister den Eigenschaften innewohnt, die sie besitzen, so schöpfen sie es überall, wo sie es finden, auf der Oberfläche der Erde, inmitten der Inkarnierten oder im Raum.

Ein gewöhnlicher Vergleich wird diese Situation noch verständlicher machen. Wenn sich in einem Konzert zwei Menschen finden, der eine ein guter Musiker mit geübtem Ohr, der andere ohne Kenntnis der Musik und mit einem wenig feinfühligen Gehörsinn, so empfindet ersterer ein Gefühl von Glück, während der zweite unempfindlich bleibt, weil der eine erfasst und begreift, was auf den anderen keinerlei Eindruck macht. So verhält es sich mit allen Freuden der Geister; sie stehen im Verhältnis zu der Fähigkeit, diese zu empfinden. Die spirituelle Welt besitzt überall einen Strahlenglanz, Harmonien und Empfindungen, die niedere Geister, noch dem Einfluss der Materie unterworfen, kaum entfernt wahrnehmen und die nur den gereinigten Geistern zugänglich sind.


7. Der Fortschritt bei den Geistern ist die Frucht ihrer eigenen Arbeit; aber da sie frei sind, arbeiten sie an ihrem Fortschritt mit mehr oder weniger Aktivität oder Nachlässigkeit, je nach ihrem Willen. Sie beschleunigen oder verzögern so ihren Fortschritt und folglich ihr Glück. Während die einen rasch voranschreiten, verharren andere lange Jahrhunderte hindurch in den niederen Reihen. Sie sind also die eigentlichen Verursacher ihrer glücklichen oder unglücklichen Lage, entsprechend dem Wort Christi: "Jedem nach seinen Werken." Jeder Geist, der zurückbleibt, kann sich deshalb nur selbst die Schuld geben, so wie der, der voranschreitet, den ganzen Verdienst hat. Das Glück, das er erlangt hat, hat nur umso mehr Wert in seinen Augen.

Das höchste Glück ist nur das Erbteil der vollkommenen Geister, mit anderen Worten der reinen Geister. Sie erreichen dieses nur, wenn sie an Intelligenz und Moral fortgeschritten sind. Intellektueller und moralischer Fortschritt gehen selten nebeneinander. Aber was der Geist nicht in einer Zeit tut, das tut er in einer anderen, so dass die beiden Fortschritte mit Erreichen derselben Ebene enden. Das ist der Grund, weshalb man oft intelligente und gebildete Menschen sieht, die in moralischer Hinsicht sehr wenig vorwärtsgekommen sind, und umgekehrt.


8. Die Inkarnation ist notwendig für den doppelten, also den moralischen und den intellektuellen Fortschritt des Geistes: Für den intellektuellen Fortschritt durch die Tätigkeit, zu deren Entfaltung er bei der Arbeit gezwungen ist; zum moralischen Fortschritt, weil die Menschen einander brauchen. Das gesellschaftliche Leben ist der Prüfstein für die guten und die schlechten Eigenschaften. Güte, Bosheit, Sanftmut, Gewalttätigkeit, Wohlwollen, barmherzige Liebe, Egoismus, Geiz, Hochmut, Demut, Aufrichtigkeit, Stolz, Treulosigkeit, Heuchelei, mit einem Wort alles, was den guten oder den verdorbenen Menschen ausmacht, hat als Beweggrund, als Zweck und als Ansporn die Beziehungen des Menschen zu seinesgleichen. Für den Menschen, der allein leben würde, gäbe es weder Laster noch Tugenden. Wenn er sich durch Isolation vor dem Bösen schützt, vernichtet er das Gute.


9. Eine einzige körperliche Existenz ist offenbar unzureichend dafür, dass der Geist all das erwerben kann, was ihm an Gutem noch fehlt, und sich von allem befreien, was noch Schlechtes in ihm ist. Könnte z.B. der Urmensch in einer einzigen Inkarnation die moralische und intellektuelle Bildungsstufe der fortgeschrittensten Zivilisation erreichen? Das ist sachlich unmöglich. Soll er also ewig in Unwissenheit und Rohheit verbleiben, der Freuden beraubt, die nur die Entwicklung der Fähigkeiten verschaffen kann? Der einfache, gesunde Menschenverstand weist eine solche Annahme ab. Sie würde zugleich die Verneinung der Gerechtigkeit und der Güte Gottes sein als auch des Fortschrittsgesetzes für alle Wesen. Darum eben bewilligt Gott, der im höchsten Maße gerecht und gut ist, dem Geist des Menschen so viele Existenzen, wie zum Erlangen des Zieles, das die Vollkommenheit ist, notwendig sind.

In jeder neuen Existenz bringt der Geist mit, was er in der vorhergehenden an Fähigkeiten, an Kenntnissen, innerer Anschauung, an Intelligenz und Moral erworben hat. Jede Existenz ist daher ein Schritt nach vorn auf dem Wege des Fortschritts. (Siehe Kap. 1, Nr. 3.)

Die Inkarnation resultiert aus der Niedrigkeit der Geister; sie ist für die nicht mehr notwendig, die deren Grenze überschritten haben und im geistigen Zustand fortschreiten oder in den körperlichen Existenzen der höheren Welten stehen, die von irdischer Materie nichts mehr an sich tragen. Von ihrer Seite ist sie freiwillig und geschieht in der Absicht, auf die Inkarnierten eine unmittelbarere Wirkung auszuüben, um ihre Mission zu erfüllen, mit der sie betraut worden sind. Sie nehmen die damit verbundenen Wechselfälle und Leiden mit Hingabe auf sich.


10. In den Zeiten zwischen den körperlichen Existenzen kehrt der Geist eine mehr oder weniger lange Zeit in die geistige Welt zurück, in der er glücklich oder unglücklich ist, je nach dem Guten oder dem Bösen, das er getan hat. Der geistige Zustand ist der normale Zustand des Geistes, weil das ja sein endgültiger sein soll und weil der spirituelle Körper nicht stirbt. Der körperliche Zustand ist nur vorübergehend und vergänglich. Vor allem im geistigen Zustand sammelt er die Früchte des Fortschritts, den er durch seine Arbeit in der Inkarnation vollbracht hat. Da bereitet er sich auch auf neue Kämpfe vor und fasst die Entschlüsse, um deren Ausführung er sich bei seiner Rückkehr in das Menschendasein bemüht.

Der Geist schreitet auch während des Herumwanderns fort. Er schöpft da neue Kenntnisse, die er auf Erden nicht erwerben konnte. Seine Begriffe modifizieren sich dort. Der körperliche und der geistige Zustand sind für ihn die Quelle zweier Arten von Fortschritt, die unauflöslich zusammengehören, deshalb geht er abwechselnd durch diese beiden Formen der Existenz.


11. Die Reinkarnation kann auf Erden oder in anderen Welten stattfinden. Unter den Welten gibt es solche, die weiter fortgeschritten sind als die anderen und wo das Dasein sich unter weniger schmerzvollen Bedingungen vollzieht als auf der Erde und zwar physisch wie moralisch; wo aber nur solche Geister Zutritt finden, die auf einer Stufe der Vollkommenheit angelangt sind, die dem Zustand dieser Welten entsprechen.

Das Leben in den höheren Welten ist an sich schon eine Belohnung, denn man ist dort frei von den Leiden und Wechselfällen, denen man hier auf Erden ausgesetzt ist. Die weniger grobstofflichen, beinahe fluidischen Körper sind dort weder Krankheiten noch Gebrechen noch denselben Bedürfnissen unterworfen. Da die niederen Geister davon ausgeschlossen sind, leben die Menschen dort in Frieden, ohne jede Sorge, außer der, durch die Arbeit der Intelligenz fortzuschreiten. Da herrscht die wahre Brüderlichkeit, weil es keine Selbstsucht gibt, die wahre Gleichheit, weil es keinen Hochmut gibt, die wahre Freiheit, weil es keine Unordnungen zu beseitigen gibt, keine Ehrgeizigen, die versuchen, den Schwachen zu unterdrücken. Verglichen mit der Erde sind diese Welten wahre Paradiese; sie sind die Etappen des Weges des Fortschritts, der zum endgültigen Zustand führt. Da die Erde eine niedere Welt ist, bestimmt zur Reinigung unvollkommener Geister, so ist dies die Ursache dafür, dass darauf das Böse herrscht, bis es Gott gefällt, aus ihr einen Wohnort für weiter fortgeschrittene Geister zu machen.

Auf diese Weise schreitet der Geist stufenweise fort, in dem Maße, wie er sich entwickelt und auf den Höhepunkt der Glückseligkeit gelangt. Aber ehe er den Gipfel der Vollkommenheit erreicht hat, genießt er ein Glück im Verhältnis zu seinem Fortschritt. So wie das Kind die Freuden der Kindheit, später die der Jugend und endlich die beständigeren des reifen Alters genießt.


12. Der Glückszustand der seligen Geister besteht nicht in einem beschaulichen Müßiggang, der, wie schon oft gesagt wurde, eine ewige und Überdruss erregende Nutzlosigkeit wäre. Das geistige Leben ist auf allen seinen Stufen im Gegenteil eine beständige Tätigkeit, aber eine ohne Ermüdung. Das höchste Glück besteht:

— im Genuss von der Herrlichkeit der Schöpfung, die keine menschliche Sprache wiederzugeben vermag und die fruchtbarste Fantasie nicht zu fassen vermag;

— in der Kenntnis und Durchdringung aller Dinge;

— in der Abwesenheit körperlicher und moralischer Schmerzen;

— in einer inneren Zufriedenheit einer durch nichts getrübten Heiterkeit der Seele;

— in einer reinen Liebe, die alle Wesen vereint, infolge der Abwesenheit all der aus der Berührung mit dem Bösen sich ergebenden verletzenden Reibungen;

— und über allem in der Sicht Gottes und dem Begreifen seiner den Würdigsten enthüllten Geheimnisse.

Seligkeit liegt ferner in den Funktionen, über die man sich glücklich schätzt, weil sie uns anvertraut werden. Die reinen Geister sind die Messiasse oder Boten Gottes, für die Überbringung und Ausführung seines Willens; sie erfüllen die großen Aufgaben, sie leiten die Bildung der Welten und die allgemeine Harmonie des Weltalls, eine ruhmreiche Aufgabe, zu der man nur durch Vollkommenheit gelangt. Die Geister höchster Ordnung sind als einzige in alle Geheimnisse Gottes eingeweiht, inspiriert von seinen Gedanken, deren unmittelbare Vertreter sie sind.


13. Die Befugnisse und Beauftragungen der Geister sind angepasst an ihren Fortschritt, den Einsichten, die sie besitzen, ihren Fähigkeiten, ihrer Erfahrung und dem Maße des Vertrauens, das sie Gott, dem Herrn, entgegenbringen. Da gibt es kein Privileg, keine Vergünstigung, die nicht der Preis des Verdienstes wären: Alles wird nach dem Gewicht der strengen Gerechtigkeit bemessen. Die wichtigsten Aufgaben werden nur denen anvertraut, die Gott für geeignet hält, sie zu erfüllen, und unfähig, darin zu fehlen oder sie zu gefährden. Während, unter den Augen Gottes selbst, die Würdigsten den obersten Rat bilden, ist höheren Vorgesetzten die Leitung der Planetenwirbel, der Planetensysteme, übertragen, anderen die Leitung besonderer Welten zugewiesen. Danach folgen, in der Ordnung des Fortschritts und der hierarchischen Unterordnung, die beschränkten Befugnisse derer, die dem Marsch der Völker, dem Schutz der Familien und der Individuen, dem Antrieb für jeden Zweig des Fortschritts vorgesetzt sind, von den verschiedenen Vorgängen der Natur bis zu den kleinsten Elementen der Schöpfung. In diesem weiten und harmonischen Ganzen finden sich Beschäftigungen für alle Fähigkeiten, für alle Eigenschaften, alle Arten von gutem Willen. Beschäftigungen, die mit Freuden angenommen und mit Eifer erbeten werden, weil sie ein Mittel zum Vorwärtskommen für solche Geister sind, die sich erheben möchten.


14. Neben den Missionen, die den höheren Geistern anvertraut sind, gibt es solche von allen Stufen der Wichtigkeit, die den Geistern aller Ordnungen übertragen werden. Daher kann man sagen, dass jeder Inkarnierte seine eigene hat, das heißt Pflichten für das Wohl seiner Mitmenschen zu erfüllen, vom Familienvater, dem die Sorge für den Fortschritt seiner Kinder obliegt – bis zum Genie, das neue Elemente des Fortschritts in die Gesellschaft einbringt. In diesen Aufgaben zweiten Ranges begegnet man häufig Versäumnissen, Pflichtverletzungen und Abkehr, die aber nur dem Einzelnen und nicht dem großen Ganzen schaden.


15. Alle Geistwesen wirken also am großen Gesamtwerk mit, auf welcher Stufe sie auch angelangt sein mögen und jedes entsprechend seiner Kräfte; die einen als Inkarnierte, die anderen als Geistwesen. Überall Tätigkeit, von der untersten bis zur obersten Stufe der Leiter; alle unterrichten sich, helfen einander, unterstützen sich gegenseitig und reichen einander die Hand, um den Gipfel zu erreichen.

So entsteht Solidarität zwischen der geistigen und der körperlichen Welt, mit anderen Worten, zwischen den Menschen und den Geistern, zwischen den freien und den gefangenen Geistern. So gewinnen, durch Läuterung und Beharrlichkeit der Beziehungen, die wahrhafte Teilnahme und die heiligen Zuneigungen Dauer und Festigkeit.

Überall ist also Leben und Bewegung; nicht ein Winkel in der Unendlichkeit, der nicht bevölkert ist; nicht ein Gebiet, das nicht unaufhörlich von zahllosen Scharen strahlender Wesen durchlaufen wird, unsichtbar für die groben Sinne der Inkarnierten, deren Anblick aber die Bewunderung und Freude der von der Materie befreiten Seelen mitreißt. Überall gibt es ein verhältnismäßiges Glück für alle Arten von Fortschritt, für alle erfüllten Pflichten. Jeder trägt die Keime zu seinem Glück in sich, entsprechend der Stufe, auf die sein Fortschritt ihn stellt.

Das Glück ist von den eigenen Befähigungen der einzelnen und nicht vom äußeren Zustand der Umgebung abhängig, in der sie sich befinden. Daher gibt es überall Geister, die fähig sind, glücklich zu sein. Ihnen ist kein begrenzter Raum im Universum zugewiesen. An welchem Ort sie sich auch befinden, die reinen Geister können die göttliche Hoheit und Größe betrachten, weil Gott überall ist.


16. Das Glück ist jedoch nicht persönlich; wenn man es nur aus sich selbst schöpfen würde, wenn man andere nicht daran teilnehmen lassen würde, so wäre es ein egoistisches und trauriges; es besteht auch in einer Gemeinschaft der Gedanken, die die sympathischen Wesen vereint. Die glücklichen Geister, die durch die Ähnlichkeit der Vorstellungen, des Geschmacks und der Gefühle voneinander angezogen werden, bilden ausgedehnte gleichartige Gruppen oder Familien, in denen jede Individualität ihre eigenen Qualitäten ausstrahlt und von reinen und wohltuenden Fluiden durchdrungen wird, die aus dem Ganzen kommen. Die Mitglieder, die zerstreut sind, um ihrer Aufgabe nachzugehen, kommen manchmal an einem beliebigen Punkt des Raumes zusammen, um einander das Ergebnis ihrer Arbeiten mitzuteilen.

Manchmal versammeln sie sich auch um einen Geist höherer Ordnung, um seine Ratschläge und Weisungen zu empfangen.


17. Auch wenn die Geister überall sind, so sind doch die sichtbaren Welten die Brennpunkte, wo sie sich vorzugsweise versammeln, entsprechend der Ähnlichkeit, die zwischen ihnen und deren Bewohnern besteht. Rings um die fortgeschrittenen Welten schweben unzählige höhere Geister. Rings um die zurückgebliebenen Welten wimmelt es von niederen Geistern. Die Erde ist noch eine von den letzteren. Jeder Weltkörper hat also in irgendeiner Weise seine eigene Bevölkerung an inkarnierten und nicht inkarnierten Geistern, die sich zum größeren Teil durch die Inkarnation und Desinkarnation derselben Geister ergänzt. Diese Bevölkerung ist gleichbleibender in den niederen Welten, wo die Geister mehr der Materie verhaftet sind und unbeständiger in den höheren Welten. Aber von diesen Welten, Orten des Lichts und des Glücks, lösen sich Geister los und gehen zu den niederen Welten, um dort die Keime des Fortschritts zu pflanzen, Trost und Hoffnung zu bringen, den durch die Schwierigkeiten des Lebens gesunkenen Mut zu erneuern und manchmal inkarnieren sie dort, um ihre Aufgabe wirksamer zu erfüllen.


18. In dieser grenzenlosen Unermesslichkeit – wo ist da der Himmel? Er ist überall, keine Umzäunung setzt ihm Grenzen. Die glücklichen Welten sind die letzten Stationen, die zu ihm führen. Die Tugenden bahnen den Weg dahin, die Laster verhindern den Zugang.

Neben diesem großartigen Bild, das alle Winkel des Universums bevölkert, das allen Gegenständen der Schöpfung einen Zweck und eine Berechtigung gibt, wie klein und unvollkommen ist da die Lehre, die die Menschheit auf einen winzigen Punkt des Raumes beschränkt, die uns diese zu einem bestimmten Augenblick beginnend zeigt, um in derselben Weise eines Tages mit der Welt zu enden, von der sie getragen wird und nur einen Moment in der Ewigkeit zu umfassen! Wie traurig, kalt und eisig ist sie, diese Lehre, wenn sie uns den übrigen Teil des Universums vor, während und nach dem irdischen Menschendasein als ohne Leben, ohne Bewegung zeigt, eine ungeheure, in Schweigen versunkene Wüste! Wie trostlos ist sie durch die Darstellung, die sie von der kleinen Zahl der Erwählten gibt, die sich einer beständigen Beschaulichkeit hingeben, während die Mehrheit der Geschöpfe zu endlosen Qualen verdammt ist! Wie grausam ist sie für liebende Herzen durch die Schranke, die sie zwischen Toten und Lebenden aufrichtet! Die glücklichen Seelen, sagt man, denken nur an ihr Glück; die, die unglücklich sind, an ihre Schmerzen. Ist es verwunderlich, dass der Egoismus auf der Erde herrscht, wenn man sie so im Himmel zeigt? Wie beschränkt ist die Vorstellung, die sie von der Größe, der Macht und der Güte Gottes gibt!

Wie erhaben ist dagegen der Begriff, den uns die spiritistische Lehre davon gibt! Wie sehr vergrößert ihre Lehre die Vorstellungen und erweitert die Gedanken! Aber wer sagt uns, dass sie wahr sei? Zuerst die Vernunft, danach die Offenbarung und dann ihre Übereinstimmung mit dem Fortschritt der Wissenschaft. Zwischen zwei Lehren, von denen die eine die Eigenschaften Gottes verringert und die andere ausdehnt, von denen die eine im Zwiespalt und die andere im Einklang mit dem Fortschritt steht, von denen die eine zurückbleibt und die andere vorwärtsschreitet, sagt uns der gesunde Menschenverstand auf welcher Seite die Wahrheit ist. Möge angesichts dieser beiden jeder vor seinem Innersten seine sehnsüchtigen Erwartungen fragen, und eine innere Stimme wird ihm antworten. Die sehnsüchtigen Erwartungen sind die Stimme Gottes, der die Menschen nicht täuschen kann.


19. Aber warum hat dann Gott ihnen nicht von Anfang an, gleich von vornherein, die ganze Wahrheit offenbart? Aus demselben Grund, aus dem man dem Kindesalter nicht lehrt, was man dem reifen Alter lehrt. Eine beschränkte Offenbarung war für eine gewisse Zeit ausreichend in der Geschichte der Menschheit: Gott passt alles den Kräften des Geistes an. Diejenigen, die heute eine vollständigere Offenbarung empfangen, sind dieselben Geister, die sie teilweise schon zu anderen Zeiten empfangen haben, seit jener Zeit aber an Einsicht zugenommen haben.

Ehe die Wissenschaft den Menschen die lebendigen Kräfte der Natur, die Anordnung der Sterne, die wahre Bildung und Entwicklung der Erde enthüllt hatte, würden sie da die Unendlichkeit des Raumes, die Vielzahl der Welten begriffen haben? Ehe die Geologie die Gestaltung der Erde nachgewiesen hatte, hätten sie da die Hölle aus ihrem Schoße verlegen und die sinnbildliche Bedeutung der sechs Tage des Schöpfungswerkes begreifen können? Ehe die Astronomie die Gesetze, die das Universum beherrschen, entdeckt hatte, hätten sie begreifen können, dass es weder ein Oben noch ein Unten im Raum gibt, dass der Himmel nicht oberhalb der Wolken, noch von den Fixsternen begrenzt ist? Vor den Fortschritten der Psychologie hätten sie sich mit dem geistigen Leben vertraut machen können; ein nach dem Tode kommendes glückliches oder unglückliches Leben fassen können, anders als an einem begrenzten Ort und in einer materiellen Form? Nein; weil sie mehr durch die Sinne, als durch das Denken begreifen, hätten sie das Weltall für ihr Gehirn zu weit gefunden; man musste es auf weniger ausgedehnte Maße verringern, um es in ihren Gesichtskreis zu rücken, unter Vorbehalt, es später auszudehnen. Eine Teiloffenbarung hatte ihren Nutzen; sie war damals weise, aber heutzutage ungenügend. Das Unrecht ist bei denen, die glauben, den Fortschritt der Ideen ignorieren zu können, reife Menschen am Gängelband der Kindheit lenken zu können. (Siehe: "Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus" Kap. 3.)