Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Der Ursprung des Glaubens an die Existenz von Teufeln

1. Teufel und Dämonen haben zu allen Zeiten in den verschiedenen Lehren von der Entstehung der Götter eine große Rolle gespielt. Obwohl sie in der öffentlichen Wahrnehmung erheblich an Bedeutung verloren haben, gibt doch die Wichtigkeit dieser Frage, die man ihr noch heute zuschreibt, eine gewisse Tragweite, denn sie berührt die Grundlagen der religiösen Glaubensvorstellungen. Darum ist es angebracht, diese Frage und die ihr zuteil gewordenen Entwicklungen zu prüfen.

Der Glaube an eine höhere Macht ist den Menschen angeboren. Man findet ihn in den verschiedensten Formen und in allen Zeitaltern der Welt. Wenn die Menschen jedoch auf der Stufe des geistigen Fortschritts, auf der sie heute angelangt sind, noch immer über das Wesen und die Eigenschaften dieser Macht streiten, wie viel unvollkommener mussten ihre Vorstellungen darüber in der Kindheitsphase der Menschheit gewesen sein.


2. Das Bild, das uns von der Unschuld der Naturvölker bei der Betrachtung der Schönheiten der Natur vermittelt wird, in der sie die Güte des Schöpfers bewundern, ist zweifellos sehr poetisch. Es entspricht jedoch nicht der Wahrheit.

Je mehr sich der Mensch dem Naturzustand nähert, umso mehr herrschen instinktive Triebe in ihm, so wie man es noch bei den ursprünglichen Naturvölkern unserer Tage sehen kann. Was ihn am meisten in Anspruch nimmt, oder vielmehr, was ihn ausschließlich beschäftigt, ist die Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse, weil er keine anderen hat. Der einzige Sinn, der ihn den rein moralischen Aspekten zugänglich machen kann, entwickelt sich erst im Laufe der Zeit und allmählich. Die Seele hat ihre Kindheit, ihre Jugend und das Erwachsenenalter, so wie der menschliche Körper. Aber um das Erwachsenenalter zu erreichen, das sie befähigt, die abstrakten Dinge zu begreifen, wie viele Entwicklungen muss sie dabei in der Menschheit durchmachen! Wie viele Inkarnationen muss sie dabei vollenden!

Ohne in die frühesten Zeiten zurückzugehen, schauen wir uns die Menschen auf dem Land an und fragen uns, welche Gefühle des Staunens durch die Strahlen der aufgehenden Sonne, den sternenübersäten Himmel, das Zwitschern der Vögel, das Murmeln der klaren Wellen, die Blumenpracht auf den Wiesen in ihnen erweckt werden! Für sie geht die Sonne auf, weil sie es immer tut und alles, was sie wollen, ist, dass die Sonne genug Wärme zum Reifen der Ernte gibt, aber nicht zu viel, sodass sie nicht verbrannt wird. Wenn sie den Himmel betrachten, so geschieht dies, weil sie wissen wollen, ob es den nächsten Tag gutes oder schlechtes Wetter geben wird. Ob die Vögel singen oder nicht, ist ihnen gleichgültig, solange sie das Korn nicht fressen. Sie ziehen das Gegackere der Henne und das Grunzen des Schweines dem Gesang der Nachtigall vor. Sie erwarten von den klaren oder schlammigen Bächen, dass sie nicht versiegen und sie nicht überschwemmen; von den Wiesen, dass sie gutes Gras geben, mit oder ohne Blumen; das ist alles, was sie begehren bzw. alles, was sie von der Natur begreifen, und doch haben sie sich schon weit von den Urmenschen entfernt!


3. Wenn wir uns auf diese Urmenschen beziehen, so sehen wir sie noch ausschließlich mit der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse beschäftigt. Was dazu dient, für diese zu sorgen und was ihnen schaden kann, macht für sie das Gute und das Böse in dieser Welt aus. Sie glauben an eine höhere Macht. Aber da sie am meisten berührt, was ihnen einen materiellen Nachteil bringt, führen sie es auf diese Macht zurück, von der sie sich übrigens nur eine sehr vage Vorstellung machen. Da sie außerhalb der sicht- und tastbaren Welt noch nichts begreifen können, stellen sie sich diese Macht als in den Wesen und Dingen innewohnend vor, die ihnen schaden. Die bösartigen Tiere sind für sie die natürlichen und direkten Vertreter dieser Macht. Aus demselben Grund sahen sie die Versinnbildlichung des Guten in den nützlichen Dingen, die ihnen Vorteile verschafften oder hilfreich waren, daher die erwiesene Verehrung für bestimmte Tiere oder Pflanzen und selbst unbelebte Gegenstände. Aber der Mensch ist im Allgemeinen empfänglicher für das Böse als für das Gute. Das Gute scheint ihm selbstverständlich, während das Böse mehr Eindruck auf ihn macht. In allen anfänglichen Kulten sind darum die Gebräuche zu Ehren böser Mächte die zahlreichsten: Die Furcht gewinnt die Oberhand über die Dankbarkeit.

Lange Zeit hindurch begriff der Mensch nur das physische Gute und Böse. Das Gefühl für das moralische Gute und Böse verwies auf einen Fortschritt in der menschlichen Einsicht. Erst dann gewann der Mensch Einblick in die Spiritualität und verstand, dass die höhere Macht außerhalb der sichtbaren Welt liegt und nicht in den materiellen, vergänglichen Dingen. Das war das Werk einiger auserwählter Geister, die jedoch gewisse Grenzen nicht überschreiten konnten.


4. Da man einen unaufhörlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen sah, bei dem das Böse oft siegte, und weil man auf der anderen Seite vernünftigerweise nicht zugeben konnte, dass das Böse das Werk einer gutartigen Macht sei, schloss man daraus, dass es zwei rivalisierende Mächte gibt, die diese Welt lenken. Von da entstand die Lehre der zwei Prinzipien, dem des Guten und dem des Bösen, eine für jene Zeit logische Schlussfolgerung, denn der Mensch war noch unfähig, eine andere zu begreifen und die Essenz des höchsten Wesens zu ergründen. Wie hätte er verstehen können, dass das Böse nur ein vorübergehender Zustand ist, aus dem das Gute hervorgehen kann, und dass die Leiden, die ihn heimsuchen, ihn zum Glück führen sollen, indem sie zu seinem Fortschritt beitragen? Die Grenzen seines geistigen Horizontes erlaubten ihm nicht, außerhalb des gegenwärtigen Lebens und darüber hinaus etwas zu sehen, weder davor noch danach. Er konnte weder begreifen, dass er fortgeschritten ist, noch individuell weiter fortschreiten wird und noch weniger, dass die Wechselfälle des Lebens das Ergebnis der Unvollkommenheit des geistigen Wesens sind, das in ihm wohnt; das bereits vor seinem Körper existiert hat, ihn überleben wird und sich in einer Folge von Existenzen läutert, bis es seine Vollendung erreicht hat! Um das Gute, das aus dem Bösen hervorgehen kann, zu begreifen, darf man nicht nur eine einzige Existenz betrachten. Man muss das Ganze erfassen: Nur dann erscheinen die wahrhaftigen Ursachen und ihre ganzen Auswirkungen.


5. Das duale Prinzip vom Guten und Bösen war viele Jahrhunderte hindurch und unter verschiedenen Namen die Grundlage aller religiösen Überzeugungen. Es wurde personifiziert unter den Namen “Ormuz” und “Ariman” bei den Persern, “Jehova”, “Jaweh” oder “Ihoh” und “Satan” bei den Hebräern. Aber so wie jeder Herrscher hohe Diener haben muss, bewundern alle Religionen zweitrangige Mächte, seien es gute oder böse Geister. Die Heiden verkörperten sie in einer Menge unzähliger Einzelwesen, von denen jedes seine besondere Zuteilung für das Gute und das Böse, für die Laster und Tugenden hat, und denen sie den allgemeinen Namen "Götter" gaben. Christen und Moslems erhielten von den Hebräern die Engel und die Teufel.


6. Die Lehre von den Teufeln hat also ihren Ursprung im alten Glauben an die zwei Prinzipien des Guten und Bösen. Wir prüfen dies hier nur vom christlichen Standpunkt aus und untersuchen, ob sie mit den genaueren Erkenntnissen vereinbar ist, die wir heute von den Eigenschaften der Gottheit haben.

Diese Eigenschaften sind der Ausgangspunkt, die Grundlage aller Religionen. Glaubenssätze, Kulte, Bräuche, Zeremonien und Moralvorstellungen: Alles steht in Beziehung mit den mehr oder weniger richtigen und erhabenen Begriffen, die man sich von Gott macht, von der Götzenanbetung bis hin zum Christentum. Auch wenn das innerste Wesen Gottes immer noch ein Geheimnis für unseren Verstand ist, verstehen wir es dank der Lehren Christi besser denn je. Das Christentum, in Übereinstimmung mit der Vernunft, lehrt uns, dass “Gott einzig ist, ewig, unwandelbar, immateriell, allmächtig, im höchsten Maße gerecht und gut und unendlich in all seinen Vollkommenheiten.”

Es ist so wie an anderer Stelle (Kap. 6, "Endlose Strafen") gesagt wurde: "Wenn man das kleinste Teilchen einer einzigen von den Eigenschaften Gottes wegnähme, dann hätte man keinen Gott mehr, weil ein vollkommeneres Wesen vorhanden sein könnte." Diese Eigenschaften sind in ihrer unumschränkten Fülle also das Erkennungszeichen aller Religionen, der Maßstab der Wahrheit einer jeden der Prinzipien, die sie lehren. Insofern eine dieser Prinzipien wahr ist, darf sie keine der Vollkommenheiten Gottes beeinträchtigen. Sehen wir, ob es sich mit der gewöhnlichen Lehre von den Teufeln so verhält.