Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Kapitel VII - Die zukünftigen Strafen im Licht des Spiritismus

Es gibt lasterhafte Neigungen, die offensichtlich dem Geist innewohnen, weil sie mehr moralisch als physisch sind. Andere scheinen mehr die Folge des Organismus zu sein. Aus diesem Grund glaubt man, dafür weniger verantwortlich zu sein. Dazu gehören die Veranlagungen zum Zorn, zur Weichlichkeit, zur Sinnlichkeit usw.

Es wird heute von den spiritualistischen Forschern vollkommen anerkannt, dass die Gehirnorgane, die den verschiedenen Fähigkeiten entsprechen, ihre Entwicklung der Aktivität des Geistes zu verdanken haben. Dass diese Entwicklungen also eine Wirkung und keine Ursache sind. Ein Mensch ist kein Musiker, weil er ein Talent für Musik hat, sondern er hat ein Talent für Musik, weil sein Geist Musiker ist.

Wenn die Aktivität des Geistes auf das Gehirn wirkt, dann muss sie in gleicher Weise auf die anderen Bereiche des Organismus einwirken. Der Geist ist also der Schmied seines eigenen Körpers. Er formt ihn und passt ihn seinen Bedürfnissen und der Äußerung seiner Neigungen an. Unter diesen Umständen wäre die Vollkommenheit des Körpers der fortgeschrittenen Völker nicht das Produkt verschiedener Schöpfungen, sondern das Ergebnis der Arbeit des Geistes, der sein Werkzeug in dem Maße perfektioniert, wie seine Fähigkeiten zunehmen.

Als natürliche Folge dieses Prinzips müssen die moralischen Anlagen und Stimmungen des Geistes die Beschaffenheit des Blutes verändern, ihm mehr oder weniger Aktivität verleihen, eine mehr oder weniger reichliche Absonderung von Galle oder anderen Flüssigkeiten bewirken. So geschieht es beispielsweise, dass dem Feinschmecker beim Anblick eines appetitlichen Gerichts der Speichel im Mund zusammenläuft. Nicht das Gericht ist es, das den Geschmackssinn überreizen kann, da es ja keine Berührung gibt. Es ist der Geist, dessen Sinnlichkeit erweckt wird und der durch den Gedanken auf dieses Sinnesorgan einwirkt, während auf einen anderen der Anblick dieses Gerichtes keine Wirkung hat. Aus demselben Grund geschieht es auch, dass ein empfindsamer Mensch leicht Tränen vergießt. Es ist nicht der Überfluss der Tränen, der dem Geist die Empfindsamkeit verleiht, sondern die Empfindsamkeit des Geistes verursacht den reichlichen Ausfluss von Tränen. Unter der Herrschaft der Empfindsamkeit hat sich der menschliche Organismus dieser maßgeblichen Anlage und Stimmung des Geistes angepasst, wie er sich an den des fein schmeckenden Geistes angepasst hat.

Wenn man diesen Gedankengängen folgt, dann versteht man, dass ein jähzorniger Geist zu einem verbitterten Organismus führen muss; woraus folgt, dass ein Mensch nicht zornig ist, weil er verbittert ist, sondern dass er verbittert ist, weil er zornig ist. Genauso verhält es sich mit allen anderen triebhaften Neigungen. Ein schwacher und gefühlloser Geist wird seinen Organismus in einem Zustand von Abgestumpftheit belassen, der zu seinem Charakter im Verhältnis steht, während, wenn er aktiv und energisch ist, er seinem Blut und seinen Nerven ganz andere Qualitäten verleihen wird. Die Wirkung des Geistes auf die Beschaffenheit des Körpers ist so offensichtlich, dass man oft schwere organische Störungen im körperlichen Leben durch den Einfluss starker seelischer Erschütterungen entstehen sieht. Der volkstümliche Ausdruck: "Die Erschütterung hat ihm das Blut in den Adern erstarren lassen" ist nicht ganz so sinnlos, wie man glauben könnte. Was hat das Blut erstarren lassen, wenn nicht die moralischen Zustände und Neigungen des Geistes?

Man kann daher zugeben, dass der Organismus zumindest teilweise durch die Natur des Geistes bestimmt wird, die die Ursache und nicht die Wirkung ist. Wir sagen "teilweise", weil es Fälle gibt, wo das Körperliche offensichtlich Einfluss auf das Moralisch-Geistige ausübt: wenn nämlich ein krankhafter oder anormaler Zustand durch eine äußere, zufällige, vom Geist unabhängige Ursache bewirkt wird, wie: Temperatur, Klima, erbliche Mängel im Körperbau, vorübergehendes Unwohlsein usw. Der moralische Zustand des Geistes kann also in seinen Äußerungen durch ein körperliches Leiden beeinträchtigt werden, ohne dass seine eigentliche Natur verändert wäre.

Sich für seine Vergehen mit der Schwachheit des Fleisches zu entschuldigen, ist also nur eine Ausflucht, um sich der Verantwortung zu entziehen. Das Fleisch ist nur schwach, weil der Geist schwach ist. Das kehrt also die Frage um und überlässt dem Geist die Verantwortung für all seine Handlungen. Das Fleisch, das weder denkt noch Willen hat, beherrscht niemals den Geist, der das denkende und wollende Wesen ist. Es ist der Geist, der dem Fleisch die seinen Trieben entsprechenden Eigenschaften gibt. Ähnlich wie ein Künstler, der seinem materiellen Werk den Stempel seines Geistes aufdrückt. Ein Geistwesen, befreit von tierischen Instinkten, gestaltet sich einen Körper, der seinem Streben nach Spiritualität nicht mehr entgegensteht. Dann wird es so sein, dass der Mensch isst, um zu leben, weil zu leben eine Notwendigkeit ist, und nicht mehr lebt, um zu essen.

Die seelisch-moralische Verantwortung für die Handlungen des Lebens bleibt also vollständig bestehen. Aber die Vernunft sagt, dass die Folgen dieser Verantwortung im Verhältnis zur intellektuellen Entwicklung des Geistes stehen müssen. Je aufgeklärter er ist, desto weniger entschuldbar ist er, weil mit der Intelligenz und dem moralischen Sinn die Begriffe von Gut und Böse, von Recht und Unrecht entstehen.

Dieses Gesetz erklärt in gewissen Fällen die Erfolglosigkeit der Medizin. Da der Organismus eine Wirkung und keine Ursache ist, werden die Bemühungen, die versucht worden sind, sie zu verändern, zwangsläufig durch die moralischen Veranlagungen und Stimmungen des Geistes verhindert, der einen unbewussten Widerstand leistet und die Heilwirkung vereitelt. Auf die erste Ursache muss daher eingewirkt werden. Wenn möglich, gebt dem Feigling Mut und die körperlichen Auswirkungen der Angst werden aufhören.

Dies beweist einmal mehr, wie notwendig es für die Heilkunde ist, sich die Wirkung des geistigen Aspekts auf das körperliche Leben bewusst zu machen (Revue Spirite, März 1869, S. 65).


Die spiritistische Lehre ist in dem, was die zukünftigen Strafen angeht, genauso wenig auf eine vorgefasste Theorie gegründet wie in ihren anderen Teilen. Sie ist kein System, das ein anderes System ersetzt. Sie stützt sich in allem auf Beobachtungen und dies macht ihre Autorität aus. Niemand hat sich also eingebildet, dass sich die Seelen nach dem irdischen Tod in dieser oder jener Lage befinden müssten. Es sind die Wesen selber, die die Erde verlassen haben, die heute zu uns kommen und uns in die Geheimnisse des zukünftigen Lebens einweihen, ihre glückliche oder unglückliche Lage, ihre Eindrücke und ihre Verwandlung nach dem Tod des Körpers beschreiben, mit einem Wort: in diesem Punkt die Lehren Christi vervollständigen.

Es handelt sich hier keineswegs um den Bericht eines einzelnen Geistes, der die Dinge nur von seiner Sicht und unter einem einzigen Aspekt sieht oder von irdischen Vorurteilen beherrscht wird, noch um eine nur an einen Einzelnen gemachte Offenbarung, der sich durch den Schein betrügen lassen könnte, noch um eine ekstatische Vision, die sich Täuschungen hingibt und oft nur der Widerschein einer übersteigerten Vorstellungskraft ist (vgl. Kap. 6, Nr. 7 und Buch der Geister, Nr. 443 und 444). Es handelt sich hierbei vielmehr um unzählige Beispiele, die von allen Kategorien von Geistern gegeben wurden, von der höchsten bis zur untersten Sprosse der Leiter, empfangen mit Hilfe unzähliger Vermittler, die über alle Orte der Erde verstreut sind. Infolgedessen ist die Offenbarung von niemandem ein Vorrecht. Jeder ist imstande zu sehen und zu beobachten. Keiner ist verpflichtet, im Vertrauen auf andere zu glauben.


Strafgesetzbuch des zukünftigen Lebens

Die spiritistische Lehre will also nicht etwa aus eigener Willkür ein Gesetzbuch der Fantasie aufstellen. Was die Zukunft der Seele angeht, kann ihr Gesetz, das aus Beobachtungen abgeleitet wurde, die auf Tatsachen beruhen, in folgende Punkte zusammengefasst werden:

1. Der Geist oder die Seele erleidet im geistigen Leben die Folgen all jener Unvollkommenheiten, von denen sie sich während des körperlichen Lebens nicht befreit hat. Ihr glücklicher oder unglücklicher Zustand hängt vom Grad ihrer Läuterung oder ihrer Unvollkommenheiten ab.

2. Das vollkommene Glück ist an die Vervollkommnung gebunden, d.h. an die vollständige Läuterung des Geistes. Jede Unvollkommenheit ist sowohl eine Ursache für das Leiden als auch für den Verlust an Freude. Genauso wie jede erworbene Fähigkeit eine Ursache für Freude und für die Linderung des Leidens ist.

3. Es gibt nicht eine einzige Unvollkommenheit der Seele, die nicht ihre unglücklichen und unvermeidlichen Folgen nach sich zieht, und nicht eine einzige gute Eigenschaft, die nicht Quelle der Freude ist. Die Summe der Strafen ist also proportional zur Summe der Unvollkommenheiten, genauso wie jene der Freuden sich nach der Summe der guten Eigenschaften richtet.

Eine Seele, die beispielsweise zehn Unvollkommenheiten hat, leidet mehr als eine, die nur drei oder vier hat. Wenn von diesen zehn Unvollkommenheiten nur ein Viertel oder die Hälfte bleiben, so wird sie weniger leiden. Und wenn sie keine mehr hat, wird sie überhaupt nicht mehr leiden und vollkommen glücklich sein. So leidet auf der Erde derjenige mit mehreren Krankheiten stärker als derjenige, der nur eine oder keine hat. Aus demselben Grund hat die Seele mit zehn Fähigkeiten mehr Freuden als die, die weniger hat.

4. Kraft des Gesetzes des Fortschritts hat jede Seele die Möglichkeit, sich das Gute anzueignen, das ihr fehlt und das Schlechte abzulegen, je nach ihren Anstrengungen und ihrem guten Willen. Daraus ergibt sich, dass die Zukunft für keine Seele verschlossen ist. Gott weist keines seiner Kinder zurück. Er nimmt sie in dem Maße in sein Herz auf, wie sie die Vollkommenheit erreichen und überlässt so jedem das Verdienst seiner Werke.

5. Das Leiden ist mit der Unvollkommenheit verbunden, wie die Freude mit der Vollkommenheit. So trägt die Seele in sich selbst ihre individuelle Strafe, überall, wo sie sich befindet. Dafür ist kein begrenzter Ort nötig. Die Hölle ist also überall, wo leidende Seelen sind, wie der Himmel überall dort ist, wo es glückliche Seelen gibt.

6. Das Gute und das Böse, das man tut, ist das Ergebnis der guten und schlechten Eigenschaften, die man besitzt. Das Gute nicht zu tun, das man tun kann, ist also das Ergebnis einer Unvollkommenheit. Wenn jede Unvollkommenheit eine Quelle des Leidens ist, so muss der Geist nicht nur für all das Böse leiden, das er getan hat, sondern auch für all das Gute, das er hätte tun können und das er während seines irdischen Lebens nicht getan hat.

7. Der Geist leidet durch das Böse selbst, das er getan hat, in der Weise, dass seine Aufmerksamkeit beständig auf die Folgen dieses Bösen gerichtet ist und er so dessen negative Folgen besser begreift und angespornt wird, sich davon zu reinigen.

8. Da die Gerechtigkeit Gottes unbegrenzt ist, wird das Gute und das Böse streng berücksichtigt. Wenn es keine einzige schlechte Tat und keinen einzigen schlechten Gedanken gibt, die nicht ihre verhängnisvollen Folgen hätte, so gibt es auch keine einzige gute Tat, keine einzige gute Regung der Seele, mit einem Wort, nicht das geringste Verdienst, das verloren wäre, selbst bei den Verdorbensten, weil es ein Beginn des Fortschritts ist.

9. Jeder begangene Fehler, jedes verübte Böse ist eine eingegangene Schuld, die bezahlt werden muss. Geschieht dies nicht in einer Existenz, dann in der nächsten oder einer folgenden, weil alle Existenzen füreinander haften. Wer sich in der jetzigen Existenz von Schulden freimacht, wird kein zweites Mal bezahlen müssen.

10. Der Geist erleidet die Strafe seiner Unvollkommenheiten, entweder in der geistigen oder in der körperlichen Welt. All das Elend und alle Wechselfälle, die man im körperlichen Leben erleidet, sind die Folgen unserer Unvollkommenheiten, als Sühne für begangene Fehltritte, entweder der gegenwärtigen Existenz oder der früheren Existenzen.

Aus der Beschaffenheit der Leiden und Wechselfälle, die man im irdischen Leben erduldet, kann man die Natur der in einer früheren Existenz begangenen Fehler und Unvollkommenheiten beurteilen, die deren Ursache sind.

11. Die Sühne variiert je nach der Art und Schwere des Fehlers. Dasselbe Verschulden kann auf diese Weise je nach mildernden oder erschwerenden Umständen, unter denen es begangen wurde, zu unterschiedlichen Wiedergutmachungen führen.

12. Hinsichtlich der Art und Dauer der Strafe gibt es keine absolute und einheitliche Regelung. Das einzig allgemeine Gesetz ist, dass jeder Fehler seine Strafe und jede gute Tat ihre Belohnung bekommt, entsprechend ihrem Wert.

13. Die Dauer der Strafe ist von der Besserung des schuldigen Geistes abhängig. Es wird gegen ihn keine Verurteilung auf eine bestimmte Zeit ausgesprochen. Was Gott verlangt, um das Leiden zu beenden, ist eine ernsthafte, wirkliche Besserung und eine aufrichtige Rückkehr zum Guten.

Der Geist ist somit immer der Schiedsrichter seines eigenen Schicksals. Er kann durch seine Verhärtung im Bösen seine Leiden verlängern oder sie durch seine Bemühungen, Gutes zu tun, mildern und abkürzen

Eine Verurteilung für eine bestimmte Zeit würde den doppelten Nachteil mit sich bringen, entweder weiterhin den Geist zu treffen, der sich gebessert hat, oder das Leiden zu beenden, während er noch im Bösen verhaftet wäre. Gott, der gerecht ist, bestraft das Böse, solange es existiert. Er hört auf zu strafen, wenn das Böse nicht mehr existiert (vgl. Kap. 6, Nr. 25, Anführung aus Ezechiel). Oder, wenn man so will, da das moralisch Böse aus sich selbst heraus eine Ursache des Leidens ist, dauert das Leiden genauso lange, wie das Böse besteht. Seine Intensität nimmt in dem Maße ab, wie das Böse schwächer wird.

14. Da die Dauer der Strafe von der Besserung abhängig ist, folgt daraus, dass der schuldige Geist, der sich nie bessern würde, immer leiden müsste und dass die Strafe für ihn ewig wäre. 15. Ein mit den niederen Geistern verbundener Umstand ist der, kein Ende ihrer Situation zu sehen und zu glauben, dass sie immer leiden werden. Es ist für sie eine Strafe, die ihnen ewig erscheinen muss.

Bemerkung: "Immer" ist gleichbedeutend mit “endlos, ewig". Man sagt: die Grenze des ewigen Schnees, das ewige Eis der Pole, man sagt auch: der ständige Sekretär der Akademie, was nicht bedeutet, dass er es auf ewig sein wird, sondern nur auf unbegrenzte Zeit. “Ewig” und “immer” werden daher im Sinne von “unbestimmt” verwendet. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Strafen ewig sind, wenn man darunter versteht, dass sie keine begrenzte Dauer haben. Sie sind ewig für den Geist, der ihr Ende nicht sieht.

16. Der erste Schritt zur Besserung ist die Reue. Aber sie allein reicht nicht, es bedarf noch der Sühne und der Wiedergutmachung. Reue, Sühne und Wiedergutmachung sind die drei notwendigen Bedingungen, um die Spuren eines Fehlers und seiner Folgen zu beseitigen.

Die Reue mildert die Schmerzen der Sühne, indem sie Hoffnung gibt und die Wege der Rehabilitierung vorbereitet. Aber nur die Wiedergutmachung kann die Wirkung aufheben, indem sie die Ursache zerstört. Ein Straferlass wäre eine Gunst und keine Tilgung.

17. Die Reue kann jederzeit und überall stattfinden. Tritt sie später ein, so leidet der Schuldige länger.

Die Sühne besteht in den körperlichen und geistigen Leiden, als Folge des begangenen Fehlers, sei es nun im gegenwärtigen Leben oder nach dem Tod im geistigen Leben oder in einer neuen körperlichen Existenz. Sie dauert, bis die Spuren des Fehlers getilgt sind.

Wiedergutmachung besteht darin, denjenigen Gutes zu tun, denen man Schaden zugefügt hat. Wer sein Unrecht in diesem Leben durch Nichtkönnen oder bösen Willen nicht wiedergutmacht, wird sich in einem späteren Dasein in Kontakt mit denselben Menschen wiederfinden, die sich über ihn zu beklagen hatten, und in von ihm selbst gewählten Lebenslagen, so dass er ihnen seine Hingabe beweisen und ihnen so viel Gutes tun kann, wie er ihnen Schaden zugefügt hat.

Nicht alle Fehler verursachen einen direkten und wirklichen Schaden. In diesem Fall wird die Wiedergutmachung dadurch geleistet, indem man tut, was man damals hätte tun sollen und nicht getan hat, indem man die Pflichten, die man vernachlässigt oder ignoriert, die Aufgaben, die man verfehlt hat, erfüllt; das Gute ausübt, entsprechend dem, was man Böses getan hat. Das heißt, indem man demütig ist, wenn man hochmütig war, milde, wenn man hart war, liebevoll, wenn man selbstsüchtig war, wohlwollend, wenn man gehässig war, fleißig, wenn man faul war, nützlich, wenn man unnütz war, enthaltsam, wenn man ausschweifend war, beispielhaft, wenn man ein schlechtes Beispiel gab usw. So schreitet der Geist voran und zieht Nutzen aus seiner Vergangenheit.

Bemerkung: Die Notwendigkeit der Wiedergutmachung beruht auf dem Grundsatz strenger Gerechtigkeit, der als das wahre Gesetz moralischer Rehabilitation der Geistwesen angesehen werden kann. Es ist eine Lehre, die noch von keiner öffentlich ausgeübten Religion verkündet wurde (wenigstens in deutlichen, einfachen Worten).

Manche Leute lehnen sie ab, weil sie es bequemer finden würden, ihre Missetaten durch eine einfache Reue mit Hilfe einiger Formeln tilgen zu können, die nur Worte kosten. Es steht ihnen frei, sich von ihrer Schuld befreit zu glauben. Sie werden später sehen, ob das für sie genügt. Man könnte sie fragen, ob dieses Prinzip nicht im menschlichen Gesetz verankert ist und ob die Gerechtigkeit Gottes der menschlichen Gerechtigkeit gegenüber minderwertig sein kann? Ob sie mit einer Person zufrieden wären, die sie durch Vertrauensmissbrauch ruiniert hat und sich darauf beschränken würde, ihnen zu sagen, dass sie es unendlich bereut? Warum möchten sie vor einer Verpflichtung zurückweichen, die zu erfüllen sich jeder ehrliche Mensch zur Aufgabe macht, entsprechend seiner Kräfte?

Wenn diese Perspektive der Wiedergutmachung einmal in die Vorstellung der Massen eingedrungen sein wird, so wird sie der Zügel von ganz anderer Wirkungskraft sein als wie jene Lehre der Hölle und der ewigen Strafen. Denn sie berührt die Wirklichkeit des Lebens, und der Mensch wird dann die Ursache der schmerzlichen Umstände begreifen, in denen er sich befindet.

18. Die unvollkommenen Geister sind von den glücklichen Welten ausgeschlossen, deren Harmonie sie stören würden. Sie bleiben in den niederen Welten, wo sie ihre Schuld durch die Leiden des Lebens sühnen und sich von ihren Unvollkommenheiten reinigen, bis sie es verdienen, in den moralisch und physisch weiterentwickelten Welten zu inkarnieren.

Wenn man sich einen begrenzten Ort der Bestrafung vorstellen kann, so würde er sich auf den Welten der Sühne befinden. Denn um diese Welten herum wimmelt es von unvollkommenen desinkarnierten Geistern, die auf eine neue Inkarnation warten, die es ihnen ermöglichen soll, begangene Fehltritte wiedergutzumachen und die zu ihrem Voranschreiten weiterhelfen wird.

19. Weil der Geist immer seinen freien Willen hat, so ist seine Verbesserung manchmal langsam und sein Beharren im Bösen sehr hartnäckig. Er kann Jahre und Jahrhunderte darin verharren, aber es kommt immer ein Zeitpunkt, in dem sein Starrsinn, mit der er der Gerechtigkeit Gottes zu trotzen versuchte, sich dem Leiden beugt, und er trotz seiner Prahlerei die höhere Macht erkennt, die ihn beherrscht. Sobald die ersten Schimmer der Reue in ihm auftauchen, lässt Gott ihn die ersten Funken der Hoffnung sehen.

Kein Geist ist in der Lage, sich niemals zu verbessern. Sonst wäre der Geist fatalerweise einer ewigen Niedrigkeit ausgeliefert und würde dem Gesetz des Fortschritts entgehen, das entsprechend der Vorsehung alle Geschöpfe beherrscht.

20. Was auch immer die Unvollkommenheit der Geister sein mag, Gott verlässt sie niemals. Alle haben ihren Schutzengel, der über sie wacht und die Regungen ihrer Seele beobachtet. Er bemüht sich, in ihnen gute Gedanken und den Wunsch nach Fortschritt zu wecken, danach, in einer neuen Existenz das Böse, das sie getan haben, wiedergutzumachen. Der Schutzgeist handelt dabei meist auf verborgene Weise, ohne irgendwelchen Druck auszuüben. Der Geist soll sich durch eigenen Willen verbessern und nicht durch irgendeinen Zwang. Er handelt gut oder schlecht, je nach seinem freien Willen und ohne dabei in die eine oder andere Richtung getrieben zu werden. Wenn er Böses tut, so erleidet er die Folgen, solange er auf dem falschen Weg bleibt. Sobald er einen Schritt zum Guten macht, fühlt er sofort dessen Wirkung.

Bemerkung: Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass nach dem Gesetz des Fortschritts die Gewissheit, früher oder später zur Vervollkommnung und zum Glück zu gelangen, eine Ermutigung sein kann, vorerst im Bösen zu beharren, unter dem Vorbehalt späterer Reue. Zunächst, weil der niedrigstehende Geist kein Ende seiner Lage sieht, zweitens, weil der Geist als Verursacher seines eigenen Unglücks versteht, dass es von ihm abhängt, dass dieses aufhört. Dass er umso länger unglücklich sein wird, je länger er im Bösen verharrt. Dass sein Leiden ewig währt, wenn er es nicht selbst beendet. Es wäre daher eine falsche Berechnung von seiner Seite, deren erster Betrogener er selbst sein würde. Wenn ihm dagegen nach dem Dogma der unwiderruflichen Strafen für immer alle Hoffnung verwehrt ist, so hat er kein Interesse mehr, zum Guten zurückzukehren. Es wäre für ihn ohne Gewinn.

Vor diesem Gesetz fällt der Einwand, der aus der göttlichen Vorahnung gezogen wird. Gott weiß bei der Erschaffung eines Geistes, ob er Kraft seines freien Willens den guten oder den schlechten Weg einschlagen wird. Er weiß, dass der Geist bestraft werden wird, wenn er Böses tut. Aber er weiß auch, dass diese vorübergehende Bestrafung ein Mittel ist, dem Geist seinen Irrtum verständlich zu machen, und um gleichzeitig zu bewirken, dass er den guten Weg wählen wird, auf dem er früher oder später ankommen wird. Nach der Lehre von den ewigen Strafen weiß er, dass er scheitern wird und im voraus zu endlosen Leiden verurteilt ist.

21. Jeder ist nur für seine eigenen Fehltritte verantwortlich. Niemand trägt die Strafe für die Fehler anderer. Es sei denn, er hat Anlass dazu gegeben, indem er sie durch sein Beispiel provoziert hat oder indem er sie trotz seiner Möglichkeiten nicht verhinderte.

So wird z.B. der Selbstmörder immer bestraft. Aber derjenige, der durch seine Härte einen Menschen zur Verzweiflung und damit zur Selbstvernichtung treibt, erleidet eine noch größere Strafe.

22. Obwohl die Verschiedenheit der Bestrafungen unendlich ist, gibt es doch einige, die dem niedrigen Zustand der Geister entsprechen und deren Folgen, von Nuancen abgesehen, fast identisch sind.

Die unmittelbarste Strafe, besonders für diejenigen, die sich durch Vernachlässigung des geistigen Fortschritts an das materielle Leben gebunden haben, besteht in der langsamen Trennung der Seele vom Körper in den Ängsten, die den Tod und das Erwachen im anderen Leben begleiten und in der Dauer der Verwirrung, die Monate und Jahre fortbestehen kann. Bei denen hingegen, deren Gewissen rein ist, die sich schon zu ihren Lebzeiten mit dem geistigen Leben beschäftigt und von den materiellen Dingen losgelöst haben, ist die Trennung schnell und frei von Erschütterungen, das Erwachen friedlich und die Verwirrung fast gleich null.

23. Ein Phänomen, das bei Geistern mit einer gewissen moralischen Unreife sehr häufig vorkommt, besteht darin, dass sie glauben, noch am Leben zu sein. Diese Illusion kann sich über Jahre ausdehnen, in denen sie alle Bedürfnisse, alle Qualen und alle Schwierigkeiten des Lebens empfinden.

24. Für den Verbrecher ist der unaufhörliche Anblick seiner Opfer und der Umstände seines Verbrechens eine grausame Bestrafung.

25. Bestimmte Geister sind in tiefe Finsternis getaucht. Andere befinden sich mitten im Raum in absoluter Isolation, gequält von der Unkenntnis ihrer Situation und ihres Schicksals. Die Schuldigsten leiden Qualen, die umso schmerzhafter sind, je weniger sie deren Ende sehen. Vielen wird der Anblick ihrer Lieben vorenthalten. Ausnahmslos alle ertragen mit verhältnismäßiger Intensität die Leiden, Schmerzen und Nöte, die sie anderen zugefügt haben, bis Reue und der Wunsch nach Wiedergutmachung beginnen, eine Linderung zu bringen, indem ihnen die Möglichkeit aufgezeigt wird, diese Lage aus eigener Kraft zu beenden.

26. Es ist eine Strafe für den Hochmütigen, diejenigen in himmlischer Herrlichkeit zu sehen, umringt und gefeiert, die er auf der Erde verachtet hatte, während er selbst in die letzten Ränge zurückverwiesen ist; für den Heuchler, sich von dem Licht durchdrungen zu sehen, das seine geheimsten Gedanken enthüllt, die jeder lesen kann, ohne Möglichkeit für ihn, sich zu verstecken und zu verstellen; für den Sinnlichen, alle Versuchungen, alle Wünsche zu haben, ohne sie befriedigen zu können; für den Geizigen, sein Geld verschleudert zu sehen und es nicht behalten zu können; für den Egoisten, von allen verlassen zu werden und all das zu erleiden, was andere durch ihn erlitten haben. Er wird durstig sein und niemand wird ihm zu trinken geben. Er wird hungern und niemand wird ihm zu essen geben. Keine freundliche Hand kommt, um seine Hand zu halten. Keine mitfühlende Stimme kommt, um ihn zu trösten. Er dachte zu Lebzeiten nur an sich. Niemand denkt nun an ihn und bemitleidet ihn jetzt nach seinem Tod.

27. Das Mittel, um die Folgen der eigenen Fehler im zukünftigen Leben zu vermeiden oder abzumildern, besteht darin, sie im gegenwärtigen Leben so weit wie möglich loszuwerden. Das bedeutet, dass man das Böse wiedergutmacht, damit man es nicht später auf eine schmerzlichere Weise wiedergutmachen muss. Je länger man damit zögert, seine Fehler abzulegen, desto schmerzlicher sind die Folgen davon und desto strenger ist die erforderliche Wiedergutmachung, die man erbringen muss.

28. Die Situation des Geistes von seinem Eintritt an in das geistige Leben ist die, die er sich durch sein körperliches Leben auf der Erde vorbereitet hat. Später wird ihm eine weitere Inkarnation gegeben, zur Sühne und zur Wiedergutmachung durch neue Prüfungen. Aber er profitiert mehr oder weniger davon, entsprechend der Kraft seines freien Willens. Wenn er davon keinen Gebrauch macht, vergrößert sich seine Aufgabe, jedes Mal unter schmerzlicheren Bedingungen von vorne anzufangen, so dass derjenige, der auf Erden viel zu leiden hatte, sich sagen kann, dass er viel zu sühnen hatte. Diejenigen, die trotz ihrer Laster und ihrer Nutzlosigkeit ein scheinbares Glück genießen, dürfen sicher sein, dass sie es in einem späteren Leben teuer zu bezahlen haben. In diesem Sinne hat Jesus gesagt: "Selig die Leidtragenden; denn sie werden getröstet werden." (“Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus”, Kap. 5).

29. Die Barmherzigkeit Gottes ist zweifellos unendlich, aber sie ist nicht blind. Der Schuldige, dem er vergibt, ist nicht entlastet und solange er der Gerechtigkeit nicht Genüge getan hat, trägt er die Folgen seiner Fehler. Unter unendlicher Barmherzigkeit muss verstanden werden, dass Gott nicht unerbittlich ist und dass er die Tür zur Rückkehr zum Guten immer offenlässt.

30. Da die Strafen vorübergehend und der Reue und Wiedergutmachung untergeordnet sind, die vom freien Willen des Menschen abhängen, sind sie gleichzeitig Bestrafung und Heilmittel, die dazu helfen sollen, die Wunden des Bösen zu heilen. Die Geister in Bestrafung sind also nicht wie auf Zeit verurteilte Galeerensträflinge, sondern wie Kranke im Krankenhaus. Diese leiden an einer Krankheit, die häufig von ihnen selbst verschuldet ist. Sie leiden auch unter den schmerzvollen Heilmitteln, die diese Krankheit erfordert. Sie haben aber Hoffnung auf Genesung und genesen umso schneller, je genauer sie die Vorschriften des Arztes befolgen, der mit Sorgfalt über sie wacht. Wenn sie ihre Leiden durch ihre Schuld verlängern, hat der Arzt nichts damit zu tun.

31. Zu den Strafen, die der Geist im geistigen Leben erleidet, kommen die des körperlichen Lebens hinzu. Sie sind eine Folge der Unvollkommenheiten des Menschen, seiner Leidenschaften, des schlechten Gebrauchs seiner Fähigkeiten und der Sühne seiner gegenwärtigen und vergangenen Fehler. Im körperlichen Leben macht der Geist das Böse seiner früheren Existenzen wieder gut und setzt die im geistigen Leben getroffenen Vorsätze in die Tat um. So erklären sich jene Leiden und Wechselfälle, die auf den ersten Blick keine Existenzberechtigung zu haben scheinen, und sind doch absolut gerecht, weil sie die Quittung für die Vergangenheit sind und dem Fortschritt dienen (siehe 5. Kapitel: “Das Fegefeuer”, Nr. 3ff; - 19. Kapitel: “Beispiele von irdischen Sühnen” - “Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus”, 5. Kapitel: “Selig sind die Leidtragenden”).

32. Würde Gott, so sagt man, nicht eine größere Liebe zu seinen Geschöpfen beweisen, wenn er sie als unfehlbar geschaffen hätte und folglich frei von den Wechselfällen, die mit der Unvollkommenheit verbunden sind?

Dafür hätte er vollkommene Wesen erschaffen müssen, die nichts zu erwerben brauchen, weder an Kenntnissen noch an Tugenden. Ohne Zweifel hätte er das gekonnt. Wenn er dies nicht getan hat, so hat er in seiner Weisheit gewollt, dass der Fortschritt allgemeines Gesetz sei.

Die Menschen sind unvollkommen und als solche mehr oder weniger schmerzhaften Wechselfällen ausgesetzt. Das ist eine Tatsache, die akzeptiert werden muss, da sie existiert. Daraus zu folgern, dass Gott weder gut noch gerecht sei, wäre eine Auflehnung gegen ihn.

Es wäre ungerecht, wenn er privilegierte Wesen geschaffen hätte, die begünstigter wären als die anderen, ohne Arbeit das Glück genießen, das andere nur mit Mühe oder nie erreichen können. Aber wo seine Gerechtigkeit erstrahlt, liegt es in der absoluten Gleichheit, die die Erschaffung aller Geister leitet und bestimmt. Alle haben den gleichen Ausgangspunkt. Da ist bei seiner Erschaffung keiner, der höher begabt wäre als die anderen. Keiner, dessen Fortschritt durch Ausnahmen erleichtert wäre. Diejenigen, die das Ziel erreicht haben, haben den Weg der Prüfungen und der Niedrigkeit durchlaufen.

Wird dies zugegeben, was wäre da gerechter als die jedem überlassene Handlungsfreiheit? Der Weg zum Glück steht allen offen. Das Ziel ist für alle dasselbe. Die Bedingungen dafür sind für alle gleich. Dieses in alle Gewissen eingravierte Gesetz wird allen gelehrt. Gott hat aus dem Glück den Lohn der Arbeit und nicht der Gunst gemacht, damit jeder dessen Verdienst hat.

Jedem steht es frei zu arbeiten oder nichts für seinen Fortschritt zu tun. Wer viel und schnell arbeitet, wird früher dafür belohnt. Wer sich auf seinem Weg verirrt oder seine Zeit verschwendet, verzögert seine Ankunft und kann sich nur selbst dafür verantwortlich machen. Das Gute und das Böse sind freiwillig und optional. Da der Mensch frei ist, wird er unweigerlich weder zu dem einen noch zu dem anderen gezwungen.

33. Trotz der Verschiedenheit der Arten und Stufen des Leidens unvollkommener Geister lässt sich das Strafgesetzbuch des zukünftigen Lebens in diese drei Grundsätze zusammenfassen:

Das Leiden hängt mit der Unvollkommenheit zusammen.

Jede Unvollkommenheit und jeder Fehler, der sich daraus ergibt, bringt ihre individuelle Strafe durch ihre natürlichen und unvermeidlichen Folgen mit sich, so wie Krankheit die Folge von Exzessen, Langeweile die von Müßiggang ist, ohne dass für jeden Fehler und jede Person eine besondere Verurteilung erforderlich wäre.

Jeder Mensch, der seine Unvollkommenheiten durch die Wirkung seines Willens ablegen kann, kann sich die daraus resultierenden Leiden ersparen und sein zukünftiges Glück sichern.

Dies ist das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit: Jedem nach seinen Werken – im Himmel und auf der Erde.