Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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6. Ein anderer Grund für das Festhalten an den irdischen Dingen, sogar für diejenigen, die fest an das zukünftige Leben glauben, kommt von dem Eindruck, den sie aus dem Unterricht bewahren, den sie in ihrer Kindheit erhalten haben.

Das Bild, das die Religion vom Leben nach dem Tod beschreibt, ist – das muss man zugeben – weder sehr verführerisch noch besonders tröstlich. Auf der einen Seite erblickt man dort die verzerrten Grimassen der Verdammten, die in endlosen Qualen und Flammen ihre Verirrungen des Augenblicks sühnen. Für sie folgen die Jahrhunderte aufeinander, ohne Hoffnung auf Linderung oder Mitleid und, was noch erbarmungsloser ist, für die alle Reue ohne Wirkung bleibt. Auf der anderen Seite sieht man die unter der Last ihrer Leiden gequälten Seelen des Fegefeuers, die auf ihre Befreiung hoffen, durch den guten Willen der Lebenden, die für sie beten oder beten lassen, und nicht aufgrund ihrer eigenen Anstrengungen zur Weiterentwicklung. Diese zwei Gattungen machen die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung der anderen Welt aus. Darüber schwebt die sehr begrenzte Anzahl der Erwählten, die für die Ewigkeit eine beschauliche Glückseligkeit genießen. Diese ewige Nutzlosigkeit, die ohne Zweifel dem Nichts vorzuziehen ist, ist nicht weniger als eine überdrüssige Eintönigkeit. Auch sieht man in den Malereien, die die Seligen darstellen, Engelsgestalten, die eher Langeweile als wirkliches Glück ausstrahlen.

Dieser Zustand befriedigt weder Sehnsüchte noch die instinktive Vorstellung vom Fortschritt, die als einzige mit der reinen Freude verträglich erscheint. Man hat Mühe zu begreifen, wie der unwissende Urmensch, mit stumpfem Moralgefühl, allein dadurch, dass er die Taufe empfangen hat, auf gleicher Höhe stehen soll mit jemanden, der durch lange Jahre harter Arbeit zur höchsten Stufe des Wissens und der praktizierenden Moral gelangt ist. Es ist noch weniger begreiflich, dass ein in jungem Alter verstorbenes Kind, ehe es das Bewusstsein seiner selbst und seiner Handlungen hatte, die gleichen Vorrechte genießen soll, durch die bloße Tatsache einer feierlichen Handlung, an der sein Wille keinen Anteil hatte. Diese Gedanken hören nicht auf, die leidenschaftlichen Anhänger zu beschäftigen, auch wenn diese nicht wirklich darüber nachdenken.