DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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1. Ziel dieses Werkes

Man kann den in den Evangelien enthaltenen Stoff in fünf Abschnitte teilen: Die allgemeinen Taten im Leben Christi; Die Wunder; Die Prophezeiungen; Die Wörter, die für die Festsetzung der Dogmen der Kirche dienten und Die moralische Belehrung. Während die ersten vier Teile Gegenstand von Erörterungen gewesen sind, ist der letzte Teil unangreifbar geblieben. Vor dieser göttlichen Lehre fügt sich die eigene Ungläubigkeit. Die moralische Belehrung ist der Boden, auf dem alle Glaubensrichtungen zusammenkommen können, die Fahne, unter der sich alle schützen können, so verschieden ihr Glauben auch sein mag; denn sie ist niemals Gegenstand von religiösen Auseinandersetzungen gewesen, die immer und überall durch die Dogmen hervorgerufen wurden. Falls die Religionen sie diskutieren würden, hätten sie übrigens in ihr die eigene Verurteilung gefunden, weil die Mehrheit derer mehr am mystischen Teil als am moralischen Teil interessiert ist, der von jedem die eigene Verbesserung erfordert. Die moralische Belehrung ist insbesondere für die Menschen eine Verhaltensregel, da sie alle Umstände des privaten und öffentlichen Lebens umfasst; das Prinzip aller sozialen Beziehungen, die auf strengste Gerechtigkeit gestützt sind. Sie ist schließlich, und vor allem, der unfehlbare Weg des zukünftigen Glücks, eine hochgehobene Spitze des Schleiers, der uns das zukünftige Leben verbirgt. Es ist dieser Teil, der das ausschließliche Grundthema dieses bildet.


Alle Menschen bewundern die moralische Lehre des Evangeliums; alle verkünden ihre Erhabenheit und ihre Notwendigkeit; aber viele tun es, vertrauend auf das, was sie darüber gehört haben, oder gestützt auf einige Maximen, die sprichwörtlich wurden; aber wenige kennen sie gründlich, und noch wenigere verstehen sie und können daraus die Folgen ziehen. Der Grund dafür liegt zum größten Teil in den durch die Lektüre des Evangeliums aufgezeigten Schwierigkeiten, die für die Mehrheit unverständlich sind. Die sinnbildliche Form, der absichtliche Mystizismus der Sprache bewirken, dass die Mehrheit es für die Beruhigung ihres Gewissens und aus Verpflichtung lesen, wie sie die Gebete lesen, ohne sie zu verstehen, was ohne Nutzen bleibt. Die Vorschriften der Moral, hier und dort verstreut, in der Gesamtheit anderer Erzählungen vermischt, bleiben unbemerkt. Es ist dann unmöglich, ihr Ganzes zu verstehen und aus ihr, getrennt, Gegenstand von Lektüre und Meditation zu machen.


Es wurden zwar Abhandlungen der moralischen Lehre des Evangeliums verfasst, aber die Anpassung an den modernen literarischen Stil entzieht ihr die ursprüngliche Einfachheit, die ihr gleichzeitig Zauber und Glaubwürdigkeit gibt. Dasselbe passiert mit den Maximen, die abgesondert auf den einfachsten sprichwörtlichen Ausdruck reduziert wurden, und die dann nichts anderes sind als Aphorismen, die einen Teil ihrer Bedeutung und ihres Interesses verlieren, aus Mangel an Ergänzungen und Umständen, unter welchen sie gegeben worden sind.


Um diesen nachteiligen Folgen vorzubeugen, haben wir in diesem Werk die Abschnitte zusammengefasst, die sozusagen einen Kode der universellen Moral bilden können, ohne Unterscheidung von Glaubensrichtungen. In den Zitaten bewahren wir alles, was von Nützlichkeit für die Entwicklung des Gedankens war, indem wir nur die Sachen, die dem Thema fremd sind, beiseitegelassen haben. Außerdem haben wir gewissenhaft die ursprüngliche Übersetzung von Sacy respektiert, sowie die Unterteilung der Bibelverse. Aber anstatt uns an eine unmögliche, chronologische Form zu binden, die keinen wirklichen Nutzen für solche Themen bringt, wurden die Maximen gruppenweise geordnet und gemäß ihrer Natur methodisch eingeteilt, so dass möglichst die einen die Folge der anderen sind. Die Angabe der Nummerierungen der Kapitel und der Bibelverse erlauben es, auf die übliche Klassifizierung zurückzugreifen, falls es für ratsam gehalten wird.


Dieses wäre nur eine sachliche Arbeit, die von sich aus nicht mehr als einen zweitrangigen nebensächlichen Nutzen hätte. Die Hauptsache war, das Evangelium für alle zugänglich zu machen, mit der Erklärung der unverständlichen Abschnitte und der Entwicklung all ihrer Folgen, hinsichtlich der Anwendung in den verschiedenen Situationen des Lebens. Das ist es, was wir zu tun versucht haben, mit der Hilfe der guten Geister, die uns zur Seite stehen.


Viele Stellen des Evangeliums, der Bibel und der heiligen Autoren sind meistens unverständlich und viele erscheinen unsinnig aus Mangel eines Schlüssels, der uns den wahren Sinn gibt. Dieser Schlüssel ist im Spiritismus vollständig enthalten, wie jene sich schon überzeugt haben, die ihn ernsthaft studierten, und wie man ihn später noch mehr anerkennen wird. Den Spiritismus findet man überall wieder, in der Antike und den verschiedensten Epochen der Menschheit. Überall findet man seine Spuren in den Schriften, in den verschiedenen Glaubensrichtungen und an den Denkmälern. Während der Spiritismus neue Horizonte für die Zukunft eröffnet, wirft er gleichzeitig ein klares Licht auf die Geheimnisse der Vergangenheit.


Als Ergänzung zu jeder Vorschrift geben wir einige Unterweisungen, ausgewählt unter denen, die von den Geistern in verschiedenen Ländern diktiert worden sind, und durch die Vermittlung verschiedener Medien. Wenn diese Unterweisungen aus einer einzigen Quelle entstanden wären, hätten sie einen persönlichen Einfluss oder einen solchen aus dem Milieu erlitten; während die Verschiedenartigkeit der Ursprünge beweist, dass die Geister ihre Lehren überall geben, und dass es niemanden gibt, der in dieser Hinsicht bevorzugt ist.*


Dieses Werk ist für den Gebrauch aller. Jeder kann daraus die Mittel schöpfen, um sein Verhalten in Einklang mit der Moral Christi zu bringen. Die Spiritisten werden außerdem in ihm die Anwendungen finden, die sie ganz besonders betreffen. Dank der von nun an auf eine beständige Art zwischen den Menschen und der unsichtbaren Welt hergestellten Mitteilungen, wird das evangelische Gesetz, das in allen Nationen durch die Geister selbst gelehrt wird, nicht mehr ein totes Wort sein, weil jeder es verstehen kann und unablässig aufgefordert wird, es in die Praxis umzusetzen, durch Ratschläge von seinen geistigen Führern. Die Unterweisungen der Geister sind wirklich die Stimmen des Himmels, die kommen, um die Menschen aufzuklären und sie zur Anwendung des Evangeliums einzuladen.





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* Wir könnten ohne Zweifel über jedes Thema eine größere Anzahl von Mitteilungen geben, die in einer Vielzahl aus anderen Städten und spiritistischen Zentren erhalten worden sind, als jene, die wir zitieren. Aber wir wollten vor allem die Monotonie der unnützen Wiederholungen vermeiden und unsere Wahl auf die begrenzen, die in ihrem Inhalt und in ihrer Form ganz besonders in den Rahmen dieses passen. Die, die hier nicht vorkommen, wurden für die späteren Veröffentlichungen reserviert. Was die Medien betrifft, haben wir sie nicht zitiert; größtenteils auf Grund ihrer eigenen Bitten und weil es nicht angebracht wäre, Ausnahmen zu machen. Außerdem würden die Namen der Medien in keinem Fall dem Werk der Geister mehr Wert hinzufügen. Ihre Erwähnung wäre nur eine Befriedigung der Eigenliebe, und die wahrhaft ernsten Medien interessieren sich nicht dafür. Sie verstehen, dass der Wert der Mitteilungen nicht im Geringsten ihren persönlichen Verdienst steigert, da ihre Rolle ausschließlich passiv ist und dass es kindisch wäre, auf eine intellektuelle Arbeit stolz zu sein, bei der sie nur mechanische Mitwirkung leisten.