DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

Zurück zum Menü
9. Die Liebe ist göttlicher Natur und ihr alle, vom ersten bis zum letzten, besitzt tief in eurem Herzen den Funken dieses heiligen Feuers. Es ist eine Tatsache, die ihr sehr oft feststellen konntet: Der Mensch, so abscheulich, niedrig und verbrecherisch er auch sein mag, hat für irgendein Wesen oder Objekt eine starke und feurige Zuneigung, widerstandsfähig gegen alles, was sie zu verringern versucht, und die oft erhabene Dimensionen erreicht.


Für irgendein Wesen oder Objekt sagte ich, weil es unter euch Individuen gibt, deren Herz übervoll von kostbarer Liebe ist, die diese wertvollen Gefühle an Tiere, Pflanzen und sogar materielle Objekte verschenken: Arten von Menschenfeinden, die sich über die Menschheit im allgemeinen beklagen und der natürlichen Neigung ihrer Seele widerstreben, die um sich herum Zuneigung und Sympathie sucht. Sie erniedrigen das Gesetz der Liebe auf den Zustand des Instinkts. Aber was sie auch tun, es gelingt ihnen nicht, den lebendigen Keim zu ersticken, den Gott ihnen bei ihrer Schöpfung ins Herz gelegt hat. Dieser Keim entwickelt sich und wächst mit der Moral und der Intelligenz, und obwohl er sehr oft vom Egoismus unterdrückt wird, ist er die Quelle der heiligen und sanften Tugenden, die die echten und dauerhaften Zuneigungen ausmachen und auch helfen, die steilen und dürren Wege des Lebens zu durchschreiten.


Es gibt einige Menschen, die die Prüfung der Reinkarnation ablehnen, nur aus dem Grund, dass andere an den Zuneigungen teilhaben werden, auf die sie eifersüchtig sind. Arme Menschen! Es ist eure Zuneigung, die euch zu Egoisten macht: Eure Liebe beschränkt sich auf einen engen Kreis von Verwandten und Freunden und alle anderen sind euch gleichgültig. Also, um das Gesetz der Liebe zu praktizieren, so wie Gott es versteht, müsst ihr Schritt für Schritt dazu kommen, alle eure Mitmenschen ohne Unterschied zu lieben. Die Aufgabe ist langwierig und schwierig, aber sie wird vollendet werden, da Gott es so will, und das Gesetz der Liebe ist das erste und wichtigste Gebot eurer neuen Lehre, denn sie ist es, die eines Tages den Egoismus vernichten wird, egal in welcher Form er sich zeigt; denn außer dem persönlichen Egoismus gibt es auch noch den Egoismus hinsichtlich der Familie, der Gesellschaftsschichten und der Nationalität. Jesus hat gesagt: „Liebt eure Nächsten wie euch selbst“; also, wo ist die Grenze zu meinem Nächsten? Ist sie in der Familie, der Religion, im Vaterland? Nein, die ganze Menschheit ist darin eingeschlossen. In den höher entwickelten Welten ist es die gegenseitige Liebe, die die entwickelten Geister, die sie bewohnen, harmonisiert und leitet, und euer Planet, - zu einem baldigen Fortschritt bestimmt durch seine soziale Umwandlung - wird dieses erhabene Gesetz, ein Widerschein der Göttlichkeit, von ihren Bewohnern praktiziert sehen.


Die Auswirkungen des Gesetzes der Liebe sind die moralische Verbesserung der menschlichen Rasse und des Glücks während des irdischen Lebens. Die Rebellischsten und die Bösartigsten werden sich verbessern, wenn sie die wohltuenden Wirkungen sehen werden, die aus der Beachtung dieses Gebotes resultieren: Den anderen nicht das tun, was ihr nicht möchtet, das man es euch tut; aber tut ihnen im Gegenteil alles Gute, das in eurer Macht steht.


Glaubt nicht an die Unfruchtbarkeit und an die Verhärtung des menschlichen Herzens: Das Herz gibt ungewollt der wahren Liebe nach. Die Liebe ist ein Magnet, dem das Herz nicht widerstehen kann, und der Kontakt mit dieser Liebe belebt und befruchtet die Keime dieser Tugend, die sich im latenten Zustand in euren Herzen befindet. Die Erde, Aufenthaltsort der Prüfung und der Verbannung, wird dann durch dieses heilige Feuer gereinigt, und sie wird die Nächstenliebe, die Demut, die Geduld, die Aufopferung, die Selbstverleugnung und die Opferbereitschaft praktiziert sehen: Alles Tugenden, Töchter der Liebe.


Werdet also nicht müde, die Worte des Evangelisten Johannes zu hören. Als er aufgrund seiner Gebrechen und seines Alters nicht mehr in der Lage war zu predigen, wiederholte er, wie ihr wisst, stets nur diese sanften Worte: „Meine Kinder, liebt einander“.


Geliebte Freunde, wendet diese Lehre nutzbringend an: Die Ausübung ist sehr schwer, aber die Seele zieht unermesslich viel Gutes daraus. Glaubt mir, macht die erhabene Anstrengung, um die ich euch bitte: „Liebt einander“ und ihr werdet die Erde bald in ein Paradies verwandelt sehen, wo die Seelen der Gerechten die Ruhe genießen werden. (Fénelon, Bordeaux, 1861)