Ist es zulässig, das Leben einer kranken Person zu verkürzen, die ohne Hoffnung auf Genesung leidet?
28. Ein Mensch ringt mit dem Tode, Opfer von grausamen Schmerzen. Man weiß, dass sein Zustand hoffnungslos ist. Ist es erlaubt, ihm einige Momente der Angst zu ersparen, indem man sein Ende beschleunigt?
Wer würde euch das Recht geben, Gottes Vorhaben zu beurteilen? Kann ER nicht den Menschen bis an den Rand des Grabes führen, ihn dann von dort wieder weg ziehen, um ihm zu gewähren, zu sich selbst zu finden und seine Denkweise zu verändern? Egal zu welchem Endpunkt ein Sterbender auch gekommen sei, es kann keiner mit Sicherheit sagen, dass seine letzte Stunde gekommen ist. Hat sich die Wissenschaft noch niemals in ihren Prognosen geirrt?
Ich weiß wohl, dass es Fälle gibt, die man mit Recht als hoffnungslos betrachten kann; wenn es aber keine begründete Hoffnung mehr gibt auf Rückkehr zum Leben und zur Gesundheit, gibt es nicht doch unzählige Beispiele dafür, dass im Moment des Sterbens, beim letzten Seufzer, der Kranke erwacht und seine Fähigkeit für einige Momente wiederbekommt? Also, diese Stunde der Gnade, die ihm gewährt wird, kann von größter Bedeutung für ihn sein; denn ihr wisst nicht, welche Überlegungen sein Geist bei den Zuckungen des Todeskampfes machen konnte und welche Qualen ihm ein Blitz der Reue ersparen kann.
Der Materialist, der nur den Körper sieht und die Seele nicht berücksichtigt, kann diese Dinge nicht verstehen; der Spiritist aber, der weiß, was jenseits des Grabes passiert, kennt den Wert des letzten Gedankens. Lindert die letzten Schmerzen, soweit ihr könnt, hütet euch aber davor, das Leben zu verkürzen, auch wenn es sich nur um eine Minute handelt, denn diese Minute kann viele Tränen in der Zukunft ersparen. (Sankt Ludwig, Paris, 1860)