DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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KAPITEL XX
Die Arbeiter der letzten Stunde

Unterweisungen der geistigen Welt: Die Letzten werden die Ersten sein; Die Mission der Spiritisten; Die Arbeiter des Herrn.

1. Das Himmelreich ist gleich einem Hausherrn, der morgens früh ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Nachdem er mit den Arbeitern einen Denar für den Tag vereinbart hatte, sandte er sie in seinen Weinberg. – Als er um die dritte Stunde wieder ausging, sah er andere auf dem Marktplatz, ohne etwas zu tun, und sagte zu ihnen: „Geht auch ihr in meinen Weinberg, ich werde euch geben, was angemessen ist.“ – Sie gingen hin. – Er ging um die sechste und um die neunte Stunde wieder hinaus und tat das Gleiche. – Als er um die elfte Stunde ausging, fand er andere dort stehen und sagte zu ihnen: „Warum steht ihr hier den ganzen Tag ohne Arbeit?“ Sie antworteten ihm, dass niemand sie angeworben hätte, und er sagte zu ihnen: „Geht auch ihr in meinen Weinberg.“

Als es Abend geworden war, sagte der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: „Rufe die Arbeiter und bezahle sie, indem du bei den letzten anfängst bis zu den ersten.“ – Diejenigen, die vor der elften Stunde in den Weinberg kamen, rückten heran und empfingen jeder einen Denar. – Diejenigen, die in der ersten Stunde des Tages angeworben worden waren, meinten, dass sie mehr erhalten würden, aber auch sie erhielten nur einen Denar. Und als sie den Lohn erhalten hatten, murrten sie gegen den Hausherrn und sagten: „Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last und Hitze des Tages ertragen haben.“

Aber als Antwort sagte er zu einem von ihnen: „Mein Freund, ich tue dir kein Unrecht. Bist du nicht um einen Denar für den Tag mit mir übereingekommen? Nimm was dir gehört und geh; ich aber will diesen letzten genauso viel geben wie dir. Ist es mir nicht erlaubt zu machen, was ich möchte? Oder ist das in deinen Augen böse, weil ich gütig bin?“

So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein, denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt. (Matthäus, Kap. XX, 1-16 Siehe auch: “Gleichnis des Hochzeitsfestes“, Kap. XVIII, Nr. 1)

Unterweisungen der geistigen Welt
Die Letzten werden die Ersten sein

2. Der Arbeiter der letzten Stunde hat das Recht auf einen Lohn, es ist aber erforderlich, dass er seinen guten Willen dem Herrn zur Verfügung stellt, der ihn einstellen sollte, und dass sein späterer Arbeitsbeginn nicht aus Faulheit oder Widerwille geschah. Er hat das Recht auf den Lohn, weil er seit der Morgendämmerung ungeduldig auf den wartete, der ihn schließlich zur Arbeit rufen würde. Er war fleißig, ihm fehlte nur die Arbeit.

Wenn er allerdings die Arbeit zu jeder Tageszeit abgelehnt hätte, wenn er gesagt hätte: „Haben wir Geduld, die Ruhe ist mir lieber. Wenn die letzte Stunde schlägt, dann wird es an der Zeit sein, an den Tageslohn zu denken. Wozu brauche ich mich von einem Herrn stören zu lassen, den ich weder kenne noch schätze! Je später desto besser!“ Dieser, meine Freunde, hätte den Lohn der Arbeit nicht bekommen, sondern den der Faulheit.

Was wird aber aus demjenigen werden, der statt einfach untätig zu bleiben, die Stunden, die für die Arbeit des Tages bestimmt waren, zu strafbarer Tätigkeit genutzt hat, der gegen Gott gelästert hat, das Blut seiner Brüder und Schwestern vergossen hat, Unfrieden innerhalb der Familien gestiftet hat, ehrliche Menschen ruiniert und Unschuldige missbraucht hat, der sich schließlich in alle Schändlichkeiten der Menschheit gestürzt hat? Was wird aus ihm werden? Wird es ihm genügen, in der letzten Stunde zu sagen: „Herr, ich habe meine Zeit schlecht genutzt; nimm mich bis zum Ende des Tages, damit ich ein wenig, wenn auch nur wenig von meiner Aufgabe erledige und gib mir den Lohn des gutwilligen Arbeiters!“ – „Nein, nein!“ wird der Herr zu ihm sagen, „ich habe im Moment keine Arbeit für dich, du hast deine Zeit verschwendet; du hast vergessen, was du gelernt hast; du kannst nicht mehr in meinem Weinberg arbeiten. Fange erneut an zu lernen, und wenn du in besserer Verfassung bist, komme zu mir, und ich werde dir mein weites Feld öffnen, wo du zu jeder Tageszeit arbeiten kannst.“

Gute Spiritisten, meine Geliebten, ihr alle seid Arbeiter der letzten Stunde. Hochmütig wäre derjenige, der behaupten würde: „Ich habe die Arbeit am frühen Morgen angefangen und erst bei Sonnenuntergang werde ich sie beenden“. Ihr seid alle gekommen, als ihr gerufen wurdet, einige etwas früher, andere ein bisschen später, zur Inkarnation, deren Kette ihr tragt. Aber wie viele Jahrhunderte rief euch der Herr bereits zu SEINEM Weinberg, ohne dass ihr ihn betreten wolltet? Nun ist der Augenblick da, den Lohn in Empfang zu nehmen. Nutzt die Stunde, die euch noch bleibt, so gut ihr könnt und vergesst niemals, dass euer Leben, so lang es euch auch erscheint, nicht mehr ist, als ein flüchtiger Augenblick in den unermesslichen Zeiten, die für euch die Ewigkeit darstellen. (Konstantin, Schutzgeist, Bordeaux, 1863)

3. Jesus liebte die Einfachheit der Sinnbilder, und in seiner energischen Ausdrucksweise sind die Arbeiter, die in der ersten Stunde ankamen, die Propheten, Moses und alle Wegbereiter, die die Stufen des Fortschritts geprägt haben, ihnen folgten über die Jahrhunderte die Apostel, Märtyrer, Kirchenväter, Gelehrten, Philosophen und schließlich die Spiritisten. Diese, die als letzte angekommen sind, wurden angekündigt und vorausgesagt seit der Ankunft des Messias und sie werden den gleichen Lohn empfangen; aber was sage ich? Einen noch größeren. Als letzte angekommen, ziehen die Spiritisten Nutzen aus der intellektuellen Arbeit ihrer Vorgänger, weil der Mensch von den Menschen erben soll und ihre Arbeit und deren Ergebnisse kollektiv sind: Gott segnet die Solidarität. Viele von ihnen sind heute bereits wieder reinkarniert oder werden morgen reinkarnieren, um die Arbeit zu vollenden, die sie ehemals angefangen haben. Mehr als ein Patriarch, mehr als ein Prophet, mehr als ein Jünger Christi, mehr als ein Verbreiter des christlichen Glaubens befinden sich wieder unter ihnen, aber aufgeklärter, fortgeschrittener, nicht mehr an der Basis arbeitend, sondern an der Krönung des Gebäudes. Ihr Lohn wird daher entsprechend dem Verdienst ihrer Arbeit sein.

Die Reinkarnation, diese schöne Glaubenslehre, verewigt und erklärt deutlich die geistige Verknüpfung. Der Geist, der dazu berufen wird, Rechenschaft über seinen irdischen Auftrag abzulegen, versteht die Kontinuität der unterbrochenen Aufgabe, die aber immer wieder aufgenommen wird. Er sieht und fühlt, dass er die Gedanken seiner Vorfahren aufgefangen hat. Er kommt in den Lebenskampf zurück, reifer durch die Erfahrungen, um noch weiter fortzuschreiten; und alle, die Arbeiter der ersten und die der letzten Stunde, mit weit geöffneten Augen auf die große Gerechtigkeit Gottes schauend, murren nicht mehr, sondern beten IHN an.

So ist eine der wahren Bedeutungen dieses Gleichnisses, das wie alle anderen, die Jesus dem Volk erzählte, den Keim der Zukunft enthält, und auch, in allen Formen und Sinnbildern, die Enthüllung dieser herrlichen Einheit, die alle Dinge des Universums in Einklang bringt, diese Solidarität, die alle Wesen der Gegenwart mit der Vergangenheit und der Zukunft verbindet. (Heinrich Heine, Paris, 1863)

Die Mission der Spiritisten

4. Hört ihr nicht bereits den brodelnden Sturm, der die alte Welt hinweg tragen und die Gesamtheit der irdischen Ungerechtigkeiten ins Nichts verdrängen soll? Ach, lobt den Herrn, ihr, die ihr Vertrauen in SEINE souveräne Gerechtigkeit habt, und die ihr als neue Aposteln der Glaubenslehre, die von den höheren prophetischen Stimmen offenbart wurde, geht hin und verkündet die neue Glaubenslehre der Reinkarnation und die Erhebung der Geister, je nachdem, wie gut oder schlecht sie ihre Missionen erfüllt und ihre irdischen Prüfungen bestanden haben.

Zittert nicht mehr! Die Feuerzungen sind über euren Köpfen. Oh, wahre Jünger des Spiritismus, ihr seid die von Gott Auserwählten. Geht und verkündet das Göttliche Wort. Die Stunde ist gekommen, wo ihr für seine Verbreitung eure Gewohnheiten, eure Arbeiten und eure belanglosen Beschäftigungen aufopfern müsst. Geht und verkündet. Die hohen Geister sind bei euch. Gewiss werdet ihr mit Menschen sprechen, die die Stimme Gottes nicht hören möchten, weil diese Stimme sie unaufhörlich zur Selbstlosigkeit aufruft. Ihr werdet den Geizigen die Uneigennützigkeit predigen, den Liederlichen die Abstinenz, den häuslichen Tyrannen und den Despoten die Sanftmut verkünden. Verlorene Worte, das weiß ich; aber was macht das? Ihr müsst mit eurem Schweiß den Boden benetzen, auf dem ihr säen werdet, denn er wird keine Früchte tragen und nichts hervorbringen ohne die wiederholten Anstrengungen des Spatens und des Pfluges des Evangeliums. Geht und verkündet!

Ja, ihr alle, gutgläubige Menschen, die ihr an eure Minderwertigkeit glaubt, wenn ihr die Welten in der Unendlichkeit des Kosmos anschaut, startet einen Kreuzzug gegen die Ungerechtigkeit und das Unrecht. Geht und zerstört diese Verehrung des goldenen Kalbs, die sich jeden Tag mehr und mehr ausbreitet. Geht, Gott führt euch. Einfache und unwissende Menschen, eure Zungen werden sich lösen, und ihr werdet sprechen wie kein Redner spricht. Geht und verkündet, und die aufmerksame Bevölkerung wird mit Freude euren Worten des Trostes, der Brüderlichkeit, der Hoffnung und des Friedens Gehör schenken.

Was können die Fallstricke schon verursachen, die euch in den Weg gelegt werden! Nur Wölfe fallen in Wolfsfallen, denn der Hirte wird seine Schafe gegen die unerbittlichen Scharfrichter zu verteidigen wissen.

Geht, ihr, die ihr vor Gott große Menschen und glücklicher als der heilige Thomas seid, glaubt, ohne sehen zu wollen und akzeptiert die Tatsache der Medialität, obgleich ihr sie selbst aus euch heraus nie hervorbringen könntet. Geht, der Geist Gottes führt euch.

Geh also voran, gestärkt durch deinen Glauben eindrucksvolle Phalanx! Und das große Heer der Ungläubigen wird vor euch verschwinden, wie der Morgennebel bei den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

Der Glaube ist die Tugend, die Berge versetzt, sagte euch Jesus, aber noch schwerer als die schwersten Berge, liegen die Unreinheit und alle Laster der Unreinheit in den Herzen der Menschen. Geht also mutig, um diesen Berg der Ungerechtigkeiten zu versetzen, den die zukünftigen Generationen nur noch als Sage kennenlernen sollen, so wie ihr selbst den Zeitabschnitt bis zur heidnischen Zivilisation nur sehr unvollständig kennt.

Ja, die moralischen und philosophischen Umwälzungen werden sich in allen Teilen des Globus ereignen. Die Stunde nähert sich, wo sich das göttliche Licht über beiden Welten zeigen wird.

Geht und verkündet das göttliche Wort: Den Großen, die es verachten werden, den Gelehrten, die Beweise verlangen werden, den Kleinen und Einfachen, die es annehmen werden, denn ihr werdet vor allem unter den Märtyrern der Arbeit, in dieser irdische Sühne, den Eifer und den Glauben finden. Geht! Diese Menschen werden mit Liedern des Dankes und des Lobes auf Gott den heiligen Trost empfangen, den ihr ihnen bringt, und sie werden sich beugen, indem sie sich für das Schicksal ihres irdischen Elends bedanken.

Auf dass eure Phalanx sich mit Entschlossenheit und Mut bewaffne! An die Arbeit! Der Pflug ist fertig; das Feld wartet; ihr müsst pflügen.

Geht und bedankt euch bei Gott für die ruhmreiche Aufgabe, die ER euch anvertraut hat; aber denkt daran, dass unter denjenigen, die zum Spiritismus berufen wurden, sich viele verirrt haben. Schaut eure Route an und folgt dem Weg der Wahrheit.

Frage: Wenn viele von denjenigen, die zum Spiritismus berufen wurden, sich verirrt haben, durch welche Zeichen wird man diejenigen erkennen, die auf dem richtigen Weg sind?

Antwort: Ihr werdet sie erkennen an den Grundsätzen der wahren Nächstenliebe, die sie lehren und praktizieren. Ihr werdet sie erkennen an der Anzahl der Leidenden, denen sie Trost gebracht haben. Ihr werdet sie erkennen an der Liebe zum Nächsten, an ihrer Selbstlosigkeit, an ihrer Uneigennützigkeit. Ihr werdet sie schließlich erkennen an dem Sieg ihrer Prinzipien, weil Gott den Sieg SEINES Gesetzes möchte. Diejenigen, die SEINEN Gesetzen folgen, sind SEINE Auserwählten, und ER wird ihnen den Sieg geben, wird aber diejenigen niederschlagen, die den Sinn dieser Gesetze verdrehen und aus ihnen ein Mittel machen, um ihre Eitelkeit und ihren Ehrgeiz zu befriedigen. (Erastus, Schutzengel des Mediums, Paris, 1863)

Die Arbeiter des Herrn

5. Ihr habt die Zeit erreicht, in der die prophezeiten Dinge für die Umwandlung der Menschheit in Erfüllung gehen werden. Glücklich werden diejenigen sein, die auf dem Feld des Herrn uneigennützig gearbeitet haben und mit keinem anderen Motiv als dem der Nächstenliebe! Ihre Tagesarbeiten werden hundertfach höher bezahlt als sie erwartet haben. Glücklich werden diejenigen sein, die zu ihren Brüdern und Schwestern gesagt haben: „Brüder und Schwestern, lasst uns zusammenarbeiten und unsere Bemühungen vereinigen, damit der Herr, wenn ER kommt, die Arbeit vollendet vorfindet“, denn der Herr wird zu ihnen sagen: „Kommt zu mir, ihr, die ihr gute Diener seid. Ihr, die ihr eure Eifersüchte und Zwietrachten zum Schweigen gebracht habt, damit der Arbeit nicht geschadet wird. Aber wehe denjenigen, die wegen ihrer Streitigkeiten die Erntezeit verzögert haben, denn der Sturm wird kommen und sie werden durch den Wirbelsturm hinweg getragen werden. Sie werden schreien: „Gnade! Gnade!“ Aber der Herr wird ihnen sagen: „Warum bittet ihr um Gnade, ihr, die ihr kein Erbarmen mit euren Brüdern und Schwestern hattet und ihnen die Hand zu reichen verweigert habt, ihr, die ihr den Schwachen erdrückt habt, anstatt ihn zu unterstützen? Warum bittet ihr um Gnade, ihr, die ihr eure Belohnung in den Genüssen der Erde und in der Befriedigung eures Hochmuts gesucht habt? Ihr bekamt schon eure Belohnung, wie ihr sie gewünscht habt; bittet nicht um mehr: Die himmlischen Belohnungen sind für diejenigen, die nicht um irdische Belohnungen gebeten haben.“

Gott zählt in diesem Moment SEINE treuen Diener, und ER hat mit SEINEM Finger diejenigen gekennzeichnet, die nur den Schein der Hingabe haben, damit sie sich nicht den Lohn der mutigen Diener widerrechtlich aneignen, denn es sind diejenigen, die nicht vor ihren Aufgaben zurückschrecken, denen ER die schwierigeren Posten bei der großen Arbeit der Erneuerung durch den Spiritismus anvertrauen wird, und diese Worte werden in Erfüllung gehen: „Die Ersten werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten im Himmelreich sein.“ (Geist der Wahrheit, Paris, 1862)