DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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4. Die Feinde zu lieben, ist für die Ungläubigen ein Unsinn. Derjenige, für den das gegenwärtige Leben alles ist, sieht in seinem Feind ein schädliches Wesen, das seine Ruhe stört und von ihm, denkt er, kann ihn nur der Tod befreien. Daher kommt dieses Verlangen nach Rache. Er hat kein Interesse zu vergeben, wenn es sich nicht darum handelt, seinen Stolz vor der Welt zu befriedigen. Vergeben wäre in manchen Fällen sogar eine für ihn unwürdige Schwäche. Und wenn er sich nicht rächt, bewahrt er trotzdem den Groll und den heimlichen Wunsch, seinem Feind Böses anzutun.


Der Gläubige und vor allem der Spiritist hat eine andere Sichtweise, da er seinen Blick auf die Vergangenheit und die Zukunft richtet, und weil dazwischen das gegenwärtige Leben nicht mehr als ein Punkt ist. Er weiß, dass man hier wegen der für die Erde vorgesehenen Bestimmung damit rechnen muss, boshafte und perverse Menschen zu treffen; dass die auf ihn treffenden Bosheiten zu den Prüfungen gehören, die er zu erdulden hat, und von dem gehobenen Standpunkt, von dem aus er dies erlebt, erscheinen ihm die Schicksalsschläge weniger bitter, egal ob sie von Menschen oder von Dingen ausgehen. Und wenn er sich nicht gegen die Prüfungen auflehnt, so soll er auch nicht mit denjenigen hadern, die dazu als Instrument dienen. Wenn er, anstatt sich zu beklagen, Gott für die Prüfung dankt, dann soll er sich auch bei der Hand bedanken, die ihm die Möglichkeit gibt, seine Geduld und Ergebenheit zu zeigen. Dieser Gedanke lässt ihn auf natürliche Weise vergeben. Er weiß darüber hinaus, dass er sich in seinen eigenen Augen umso mehr erhebt, je großzügiger er ist, und begibt sich so außerhalb der Reichweite der bösartigen Pfeile seiner Feinde.


Der Mensch, der auf dieser Welt eine erhöhte Position besitzt, fühlt sich nicht getroffen von den Beleidigungen derer, die er als seine Untergeordneten ansieht. So geschieht es auch mit demjenigen, der sich in der moralischen Welt über die materialistische Menschheit stellt. Er versteht, dass Hass und Groll ihn herabwürdigen und erniedrigen würden. Um seinem Gegner überlegen zu sein ist es also nötig, eine größere, edlere und großmütigere Seele zu haben.