KAPITEL XII
Liebt eure Feinde
• Böses mit Gutem vergelten • Die nicht inkarnierten Feinde • Wenn euch jemand auf die rechte Wange schlägt, bietet ihm auch die andere an • Unterweisungen der geistigen Welt: Die Rache; Der Hass; Das Duell.
Böses mit Gutem vergelten
1. Ihr habt gelernt, was gesagt worden ist: „Ihr sollt euren Nächsten lieben und eure Feinde hassen.“ Ich aber sage euch: „Liebt eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen und verleumden, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der im Himmel ist! Denn ER lässt die Sonne aufgehen über den Bösen und den Guten, und lässt es regnen über den Gerechten und Ungerechten. Denn, wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welche Belohnung werdet ihr bekommen? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr nur eure Brüder und Schwestern grüßt, was tut ihr damit mehr als die anderen? Tun nicht auch die Heiden dasselbe?“
Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. (Matthäus, Kap. V, 20 und 43-47)
2. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Verdienst hättet ihr dadurch, da ja auch die Sünder jene lieben, die sie lieben? – Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Verdienst hättet ihr dadurch, da ja auch die Sünder dasselbe tun? - Und wenn ihr nur denen leiht, von denen ihr das Gleiche zurückzuerhalten hofft, welchen Verdienst hättet ihr dadurch, da ja auch die Sünder sich untereinander leihen, um den gleichen Vorteil zu erhalten? – Aber ihr, liebt eure Feinde, tut allen Gutes und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten. Dann wird eure Belohnung sehr groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn ER ist gütig gegenüber den Undankbaren und sogar den Bösen. – Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist. (Lukas, Kap. VI, 32-36)
3. Wenn die Liebe zu den Nächsten der Grundsatz der Nächstenliebe ist, so ist die Feinde zu lieben, seine erhabene Anwendung, denn diese Tugend ist einer der größten Siege, die über den Egoismus und den Hochmut errungen werden können.
Im Allgemeinen wird der Sinn des Wortes „Liebe“ in diesem Zusammenhang missverstanden. Jesus meint mit diesen Worten durchaus nicht, dass man seinem Feind gegenüber gleich zärtlich sein soll, wie zu seinem Bruder, seiner Schwester oder zu einem Freund. Die Zärtlichkeit setzt Vertrauen voraus. Man kann demjenigen kein Vertrauen schenken, von dem man weiß, dass er uns Böses wünscht. Ebenso wenig ist es möglich, ihm gegenüber Freundschaft zu hegen, weil man weiß, dass er fähig ist, diese zu missbrauchen. Unter Menschen, die sich gegenseitig misstrauen, kann es keinen Impuls der Zuneigung geben, so wie es unter denjenigen möglich ist, die in der gleichen Art und Weise denken. Und wenn man einem Feind begegnet, empfindet man schließlich nicht die Freude, wie bei der Begegnung mit einem Freund.
Diese beiden Gefühle ergeben sich aus einem physikalischen Gesetz: das des Ausgleichs und das der Abstoßung. Der böse Gedanke strömt ein Fluidum aus, dessen Eindruck schmerzlich ist; der wohlwollende Gedanke umhüllt euch mit einer angenehmen Ausstrahlung. Daher der Unterschied der Empfindungen, die man bei der Annäherung eines Freundes oder eines Feindes spürt. Die Feinde zu lieben bedeutet also nicht, dass man keinen Unterschied zwischen ihnen und den Freunden machen soll. Dieses Gebot scheint für uns nur deshalb so schwer, ja sogar unmöglich anwendbar zu sein, weil wir irrtümlicherweise glauben, dass uns damit vorgeschrieben wird, den Feinden einen gleichrangigen Platz in unserem Herzen zu geben. Wenn die Armut der menschlichen Sprache dazu zwingt, dasselbe Wort zu verwenden, um verschiedene unterschiedliche Abstufungen der Gefühle auszudrücken, soll die Vernunft je nach dem Fall eine Unterscheidung herbeiführen.
Die Feinde zu lieben, bedeutet:
– also nicht, für sie eine Zuneigung zu haben, die nicht natürlich ist, denn der Kontakt mit einem Feind verursacht eine ganz andere Art des Herzklopfens, als der mit einem Freund;
– weder Hass noch Groll noch Verlangen nach Rache gegen sie zu haben;
– ihnen, ohne Hintergedanken und bedingungslos das Böse zu vergeben, das sie uns angetan haben;
– der Versöhnung kein Hindernis entgegenzusetzen;
– ihnen das Gute zu wünschen, anstelle des Bösen;
– sich über das Gute zu freuen, das ihnen geschieht, anstatt sich darüber zu ärgern;
– ihnen im Notfall eine helfende Hand zu reichen;
– sich durch Worte und Taten von allem zu enthalten, was ihnen schaden könnte.
– schließlich, ihnen bei allem das Böse mit dem Guten zu vergelten, ohne die Absicht sie zu erniedrigen. Jeder, der dies macht, erfüllt die Bedingungen des Gebots: Liebt eure Feinde.
4. Die Feinde zu lieben, ist für die Ungläubigen ein Unsinn. Derjenige, für den das gegenwärtige Leben alles ist, sieht in seinem Feind ein schädliches Wesen, das seine Ruhe stört und von ihm, denkt er, kann ihn nur der Tod befreien. Daher kommt dieses Verlangen nach Rache. Er hat kein Interesse zu vergeben, wenn es sich nicht darum handelt, seinen Stolz vor der Welt zu befriedigen. Vergeben wäre in manchen Fällen sogar eine für ihn unwürdige Schwäche. Und wenn er sich nicht rächt, bewahrt er trotzdem den Groll und den heimlichen Wunsch, seinem Feind Böses anzutun.
Der Gläubige und vor allem der Spiritist hat eine andere Sichtweise, da er seinen Blick auf die Vergangenheit und die Zukunft richtet, und weil dazwischen das gegenwärtige Leben nicht mehr als ein Punkt ist. Er weiß, dass man hier wegen der für die Erde vorgesehenen Bestimmung damit rechnen muss, boshafte und perverse Menschen zu treffen; dass die auf ihn treffenden Bosheiten zu den Prüfungen gehören, die er zu erdulden hat, und von dem gehobenen Standpunkt, von dem aus er dies erlebt, erscheinen ihm die Schicksalsschläge weniger bitter, egal ob sie von Menschen oder von Dingen ausgehen. Und wenn er sich nicht gegen die Prüfungen auflehnt, so soll er auch nicht mit denjenigen hadern, die dazu als Instrument dienen. Wenn er, anstatt sich zu beklagen, Gott für die Prüfung dankt, dann soll er sich auch bei der Hand bedanken, die ihm die Möglichkeit gibt, seine Geduld und Ergebenheit zu zeigen. Dieser Gedanke lässt ihn auf natürliche Weise vergeben. Er weiß darüber hinaus, dass er sich in seinen eigenen Augen umso mehr erhebt, je großzügiger er ist, und begibt sich so außerhalb der Reichweite der bösartigen Pfeile seiner Feinde.
Der Mensch, der auf dieser Welt eine erhöhte Position besitzt, fühlt sich nicht getroffen von den Beleidigungen derer, die er als seine Untergeordneten ansieht. So geschieht es auch mit demjenigen, der sich in der moralischen Welt über die materialistische Menschheit stellt. Er versteht, dass Hass und Groll ihn herabwürdigen und erniedrigen würden. Um seinem Gegner überlegen zu sein ist es also nötig, eine größere, edlere und großmütigere Seele zu haben.
Die nicht inkarnierten Feinde
5. Der Spiritist hat noch weitere Gründe, seinen Feinden gegenüber nachsichtig zu sein. Er weiß vor allem, dass die Bosheit kein dauerhafter Zustand des Menschen ist; dass sie die Folge einer vorübergehenden Unvollkommenheit ist; und dass - ebenso wie ein Kind seine Fehler verbessert - der böse Mensch eines Tages seine Fehler erkennen und sich in einen guten verwandeln wird.
Er weiß außerdem, dass der Tod ihn nur von der körperlichen Gegenwart des Feindes befreien kann, dass dieser ihn aber mit seinem Hass verfolgen kann, sogar nachdem er die Erde verlassen hat; folglich wird die Rache ihr Ziel nicht erreichen, im Gegenteil, sie ruft noch eine größere Verärgerung hervor, die sich von einer Existenz in die andere fortsetzen kann.
Es obliegt dem Spiritismus zu beweisen, durch die Erfahrung und das Gesetz, welches die Beziehung der sichtbaren mit der unsichtbaren Welt regelt, dass der Ausspruch: den Hass mit dem Blut auslöschen vollkommen falsch ist, denn die Wahrheit ist, dass das Blut den Hass sogar jenseits des Grabes aufrechterhält. Es obliegt dem Spiritismus, einen wirksamen Grund und einen praktischen Nutzen der Vergebung und des erhabenen Grundsatzes Christi zu geben: Liebt eure Feinde. Es gibt kein so böses Herz, das von gutem Verhalten nicht berührt würde, selbst unbewusst. Durch gutes Verhalten entkräftet man wenigstens den Vorwand der Vergeltung; aus einem Feind kann man sich einen Freund machen, vor und nach seinem Tod. Durch böses Verhalten verärgert man den Feind, daraus folgt, dass er dann sogar als Werkzeug der Gerechtigkeit Gottes dient, um denjenigen zu bestrafen, der nicht verzeihen konnte.
6. Man kann also unter den Inkarnierten und den nicht inkarnierten Feinde haben. Die Feinde der unsichtbaren Welt zeigen ihre Böswilligkeit durch die Besessenheiten und Unterjochungen, denen so viele Leute ausgesetzt sind und die eine der vielfältigen Prüfungen des Lebens sind. Diese Prüfungen dienen wie die anderen dem Fortschritt und sollen ergeben hingenommen werden, als Folge der niedrigen Natur des irdischen Planeten. Wenn es auf der Erde keine bösen Menschen gäbe, würde es um die Erde herum keine bösen Geister geben. Wenn man also Nachsicht und Wohlwollen gegenüber den inkarnierten Feinden haben soll, so soll man sie gleichfalls gegenüber den nicht inkarnierten haben.
Ehemals brachte man blutige Opfer dar, um die teuflischen Götter zu beruhigen, die nichts anderes waren als die bösen Geister. Auf die teuflischen Götter folgten die Dämonen, die dasselbe sind. Der Spiritismus hat bewiesen, dass diese Dämonen nichts anderes sind als die Seelen der bösen Menschen, die von den materiellen Instinkten noch nicht befreit sind; dass man sie nur durch Verzicht auf den Hass beruhigen kann, d.h. durch Nächstenliebe; damit die Nächstenliebe somit nicht nur bewirkt, sie von dem bösen Tun abzuhalten, sondern sie auf den Weg des Guten zurückzuführt und zu ihrer Rettung beiträgt. Daher ist der Grundsatz: Liebt eure Feinde, nicht auf den engen Kreis der Erde und des gegenwärtigen Lebens begrenzt, sondern er gehört zu dem großen Gesetz der universellen Solidarität und Brüderlichkeit.
Wenn euch jemand auf die rechte Wange schlägt, bietet ihm auch die andere an.
7. Ihr habt gelernt, was gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dem Bösen, das man euch antun möchte, keinen Widerstand zu leisten; aber wenn einer euch auf die rechte Wange schlägt, bietet ihm auch die andere an; und wenn einer euch verklagen will, um euch euer Gewand wegzunehmen, überlasst ihm auch euren Mantel. Und wenn einer euch zwingt, mit ihm eine Meile weit zu gehen, geht mit ihm noch zwei weitere Meilen! - Gebt dem, der euch um etwas bittet, und weist denjenigen nicht zurück, der sich von euch etwas leihen möchte. (Matthäus, Kap. V, 38-42)
8. Die Vorurteile der Welt, über die man sich geeinigt hat, Ehrensache zu nennen, rufen diese leicht verletzbare Empfindlichkeit hervor, die aus Hochmut und Überspanntheit der Persönlichkeit entstanden ist, die den Menschen dazu führt, Beleidigung mit Beleidigung und Kränkung mit Kränkung zu vergelten, was als Gerechtigkeit für denjenigen gilt, dessen Moral nicht über das Niveau der irdischen Leidenschaften hinausgeht. Das mosaische Gesetz schrieb deshalb vor: Auge um Auge, Zahn um Zahn; ein Gesetz, passend zu der Zeit, in der Moses lebte. Christus kam und sagte: Vergeltet Böses mit Gutem. Weiterhin sagte Er: Leistet dem Bösen, das man euch antun möchte, keinen Widerstand; wenn man euch auf die eine Wange schlägt, bietet auch die andere an. Für den Hochmütigen scheint diese Aufforderung eine Feigheit zu sein, weil er nicht versteht, dass eine Beleidigung zu ertragen mehr Mut verlangt, als sich zu rächen; und der Grund für diese Auffassung ist immer der gleiche, da er nicht über die Gegenwart hinauszublicken vermag. Soll man nun jenes Gebot wörtlich nehmen? Nein, ebenso wenig wie das andere, welches das Auge herauszureißen befiehlt, wenn es Anlass für einen Anstoß gibt. Diese Lehre bis zur letzten Konsequenz befolgt, würde jegliche Bestrafung verurteilen, selbst die nach dem öffentlichen Gesetz, und somit den Bösen volle Handlungsfreiheit lassen, indem man ihnen jegliche Furcht nimmt; wenn man ihren Aggressionen keinen Einhalt gebieten würde, wären die Guten sehr schnell ihre Opfer. Dieser Selbsterhaltungstrieb, der ein Naturgesetz ist, sagt uns, dass wir dem Mörder nicht freiwillig den Hals hinhalten sollen. Mit diesen Worten hat Jesus somit nicht die Verteidigung verboten, sondern die Rache verurteilt. Indem Er sagt, dass wir die andere Wange anbieten sollen, wenn wir auf die eine geschlagen wurden, bedeutet dies mit anderen Worten:
– dass man das Böse nicht mit dem Bösen vergelten soll;
– dass der Mensch demütig alles annehmen soll, was dazu dient, seinen Hochmut zu verringern;
– dass es edler für ihn sei, geschlagen zu werden, als zu schlagen, geduldig eine Ungerechtigkeit zu ertragen, als selbst eine zu begehen;
– dass es besser ist, betrogen zu werden, als selber ein Betrüger zu sein, ruiniert zu werden, als die andern zu ruinieren.
Dies ist gleichzeitig die Verdammung des Duells, das nichts anderes als eine Äußerung des Stolzes ist. Der Glaube an das zukünftige Leben und an die Gerechtigkeit Gottes, die das Böse nie ungestraft lässt, kann allein die Kraft geben, geduldig die Angriffe auf unsere Interessen und unsere Selbstachtung zu ertragen. Deshalb sagen wir unaufhörlich: Blickt nach vorne, in die Zukunft; je mehr ihr eure Gedanken über das materielle Leben hinaus erhebt, desto weniger werden die irdischen Dinge euch verletzen.
Unterweisungen der geistigen Welt
Die Rache
9. Die Rache ist eines der letzten Überbleibsel der barbarischen Sitten, die dazu tendieren, nach und nach aus dem menschlichen Bereich zu verschwinden. Sie ist, ebenso wie das Duell, eine der letzten Spuren dieser wilden Sitten, mit denen die Menschheit sich am Anfang der christlichen Ära bekämpfte. Darum ist die Rache ein sicheres Anzeichen für den unterentwickelten Zustand der Menschen, die sich ihr hingeben, und der Geister, die sie dazu inspirieren. Daher, meine Freunde, sollen diese Gefühle niemals das Herz von irgendeinem ergreifen, der sich Spiritist nennt oder behauptet, ein solcher zu sein. Wisst, sich rächen widerspricht so sehr dem Gebot Christi: „Verzeiht euren Feinden“, sodass derjenige, der sich weigert zu verzeihen, nicht nur kein Spiritist, sondern nicht einmal ein Christ ist. Die Rache ist eine ebenso unheilvolle Eingebung, wie die Falschheit und die Gemeinheit, die ihre beständigen Begleiter sind. Freilich rächt sich derjenige, der sich dieser verhängnisvollen und blinden Leidenschaft hingibt, fast nie öffentlich. Wenn er aber der Stärkere ist, stürzt er sich wie ein wildes Tier auf denjenigen, den er seinen Feind nennt, wenn dessen Blick seine Leidenschaft, seine Wut und seinen Hass zum Entflammen bringt. Häufiger gibt er sich jedoch einen heuchlerischen Anschein, indem er tief in seinem Herzen die bösen Gefühle verbirgt, die ihn erregen. Er nimmt Schleichwege, er verfolgt seinen Feind in der Verborgenheit, ohne ihn misstrauisch zu machen, und wartet auf einen günstigen Moment, ihn ohne Gefahr zu schlagen. Er versteckt sich vor ihm, und beobachtet ihn ständig. Er stellt ihm schreckliche Fallen auf und schüttet bei Gelegenheit Gift in seinen Becher. Wenn sein Hass nicht bis zu diesem äußersten Ende geht, greift er dessen Ehre an und alles, was diesem lieb ist. Er schreckt nicht vor der Verleumdung zurück und seine heimtückischen Unterstellungen, die auf eine geschickte Art in alle Richtungen ausgestreut werden, verbreiten sich unaufhörlich. Deshalb wundert sich derjenige, der verfolgt wird, wenn er da erscheint, wo seine Person schlecht gemacht wurde, dass er kalte Mienen vorfindet, wo er früher befreundete und wohlwollenden Gesichtern begegnete. Er ist erstaunt, dass die Hände, die früher die seinigen suchten, sich jetzt weigern, diese zu drücken. Schließlich ist er tief betrübt, wenn seine liebsten Freunde und seine Verwandten sich von ihm abwenden und ihn meiden. Ach! Der Feigling, der sich so rächt, macht sich hundertmal schuldiger als derjenige, der seinem Feind entgegentritt und ihn offen beleidigt.
Weg mit diesen wilden Bräuchen! Weg mit diesen Sitten von früher! Jeder Spiritist, der behauptet, heute noch das Recht, sich zu rächen zu haben, wäre unwürdig, länger noch zur Schar zu gehören, die sich folgenden Prinzip verschrieben hat: Außerhalb der Nächstenliebe gibt es kein Heil! Aber nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mitglied der großen spiritistischen Familie jemals in der Zukunft dem Impuls der Rache nachgeben könnte, sondern nur dem der Verzeihung. (Jules Olivier, Paris, 1862)
Der Hass
10. Liebt einander und ihr werdet glücklich sein. Macht es euch vor allem zur Aufgabe, diejenigen zu lieben, die euch Gleichgültigkeit, Hass und Verachtung entgegenbringen. Christus, den ihr euch als Vorbild nehmen sollt, gab euch das Beispiel dieser Hingabe; als Missionar der Liebe liebte Er so, dass Er sein Blut und sein Leben gab. Das Opfer, das euch verpflichtet, diejenigen zu lieben, die euch beleidigen und verfolgen, ist schwer; aber gerade das ist es, das euch ihnen überlegen macht. Wenn ihr sie hassen würdet, wie sie euch hassen, dann wärt ihr nicht besser als sie. Liebe ist die unbefleckte Hostie, die ihr Gott auf dem Altar eures Herzens gebt; eine Hostie mit angenehmem Geruch, deren Duft bis zu IHM hinaufsteigt. Obwohl das Gesetz der Liebe gebietet, dass man ohne Unterschied alle seine Brüder und Schwestern liebt, verschließt es nicht das Herz gegen schlechte Verhaltensweisen. Gerade dieses ist die schwierigste Prüfung, ich weiß es, da ich während meiner letzten irdischen Existenz diese Qual erlebt habe. Aber Gott existiert, und ER bestraft in diesem und in den nächsten Leben all diejenigen, die gegen das Gesetz der Liebe verstoßen.
Vergesst nicht, meine lieben Kinder, dass die Liebe uns näher zu Gott bringt, und dass der Hass uns von IHM entfernt. (Fénelon, Bordeaux, 1861)
Das Duell
11. Nur jener ist wahrhaft groß, der das Leben als eine Reise ansieht, die ihn zu einem Ziel führen soll, und der sich nicht um die Unebenheit des Weges kümmert und sich nie vom rechten Weg abbringen lässt. Den Blick unaufhörlich auf das Ziel gerichtet, ist es ihm nicht so wichtig, ob die Dornen und die Stacheln des Weges ihm Kratzwunden zuzufügen drohen. Sie berühren ihn, ohne ihn zu verletzen, und er setzt seinen Weg unbehindert fort.
Sein Leben einer Gefahr auszusetzen, um sich für eine Beleidigung zu rächen, bedeutet, vor den Prüfungen des Lebens zurückzuweichen. In den Augen Gottes ist dies immer ein Verbrechen, und wenn ihr von euren Vorurteilen nicht so getäuscht wäret, wie ihr es seid, so erschiene dies in euren Augen als die lächerlichste und größte Torheit.
Die Tötung eines Menschen durch das Duell ist ein Verbrechen; selbst eure Gesetzgebung erkennt das an. Niemand hat das Recht, in keinem Fall, sich an dem Leben seinesgleichen zu vergreifen. Es ist ein Verbrechen in den Augen Gottes, der euch eure Verhaltensregeln vorgegeben hat. Ihr seid in dieser Angelegenheit, mehr als in jeder anderen Situation, Richter in eigener Sache. Erinnert euch, dass euch nur in dem Maße vergeben wird, wie ihr selbst vergeben habt. Durch die Vergebung nähert ihr euch der Göttlichkeit, denn die Milde ist die Schwester der Macht. So lange noch ein Tropfen menschlichen Blutes auf Erden durch Menschenhand vergossen wird, ist das wahre Gottesreich noch nicht eingetroffen; dieses Reich des Friedens und der Liebe, das von eurem Planeten für immer die Feindseligkeit, die Uneinigkeit und den Krieg verbannen wird. Das Wort Duell wird dann in eurer Sprache nur noch als eine ferne, verschwommene Erinnerung an eine längst vergangene Zeit existieren. Die Menschen werden unter sich keinen anderen Widerstreit mehr, als den der edlen Rivalität des Guten kennen. (Adolpho, Bischof von Algerien, Marmande, 1861)
12. Das Duell kann in einigen Fällen zweifellos ein Beweis des physischen Mutes, der Geringschätzung des Lebens sein, aber es ist unbestreitbar der Beweis einer moralischen Feigheit, wie der Selbstmord. Dem Selbstmörder fehlt der Mut, sich den Schicksalsschlägen des Lebens zu stellen; dem Duellanten fehlt der Mut, Beleidigungen zu ertragen. Hat Christus euch nicht gesagt, dass es ehrenvoller und mutiger sei, die linke Wange dem hinzuhalten, der euch auf die rechte geschlagen hat, als sich für eine Beleidigung zu rächen? Sagte Er nicht am Ölberg zu Petrus: „Stecke dein Schwert in die Scheide, denn wer mit dem Schwert tötet, wird durch das Schwert sterben“?
Hat Jesus mit diesen Worten nicht für immer das Duell verurteilt? Tatsächlich, meine Kinder, was für ein Mut ist dieser, der aus einem gewalttätigen, blutrünstigen, cholerischen Temperament hervorgegangen ist, und der bei der ersten Kränkung schon in Rage gerät? Wo ist also die Größe der Seele von demjenigen, der die kleinste Schmähung mit Blut wegwaschen will? Er zittert sogar! Denn stets wird ihm aus der Tiefe seines Gewissen eine Stimme zurufen: „Kain! Kain! Was hast du deinem Bruder getan?“ Er wird dieser Stimme sagen: „Das Blut war nötig, um meine Ehre zu retten!“ Sie wird ihm aber erwidern: „Du versuchtest, sie den Menschen gegenüber rein zu waschen für die wenigen Augenblicke, die dir noch von deinem irdischen Leben geblieben sind, und du hast nicht daran gedacht, sie Gott gegenüber zu retten!“ Du armer Narr! Wie viel Blut müsste Christus von euch verlangen für all die Schmach, die Er erleiden musste. Ihr habt Ihn nicht nur mit Dornen und Lanze verletzt, Ihn auch nicht nur an das schändliche Kreuz genagelt, sondern auch noch mitten in seinem grausamen Todeskampf konnte Er eurer Gespött mit anhören, mit dem ihr Ihn überhäuft habt. Wie viel Wiedergutmachung hat Er für so viel Übel von euch verlangt? Der letzte Schrei des Lammes war ein Gebet für seine Folterknechte. Oh, vergebt und betet - wie Er - für die, die euch beleidigen!
Freunde, erinnert euch an diese Vorschrift: „Liebt einander“ und ihr werdet dann den Schlag des Hasses mit einem Lächeln erwidern und die Beleidigung mit der Vergebung. Die Welt wird sich zweifellos wütend erheben und euch als Feiglinge bezeichnen; zeigt dann hocherhobenen Kopfes, dass ihr nicht fürchtet, nach dem Beispiel Christi ebenfalls Dornen auf dem Haupt zu tragen; dass eure Hand aber nicht Komplize eines Totschlags sein wird, der sozusagen durch einen falschen Schein der Ehre erlaubt ist, der aber nichts anderes ist als Hochmut und Eigenliebe. Als Gott euch erschuf, gab ER euch das Recht über das Leben und den Tod des einen oder andern? Nein, nur der Natur hat ER dieses Recht gegeben, um sich neu zu bilden und wieder aufzubauen. Aber euch hat ER nicht einmal erlaubt, über euch selbst zu verfügen! Wie der Selbstmörder, wird der Duellant mit Blut gezeichnet sein, wenn er vor Gott erscheint, und sowohl dem einen wie dem andern bereitet der höchste Richter harte und lange Bestrafungen. Wenn ER mit SEINER Gerechtigkeit demjenigen gedroht hat, der zu seinem Bruder Racca sagt (was bedeutet: Du bist ein Mann, der zu nichts taugt), wie viel strenger noch wird dann die Strafe sein, die für denjenigen reserviert ist, der vor Gott mit dem Blut seines Bruders an den Händen erscheint! (Sankt Augustin, Paris, 1862)
13. Das Duell ist - wie das, was man früher Gottesurteil genannt hat - eine von diesen barbarischen Sitten, die immer noch in der Gesellschaft herrschen. Was würdet ihr denn sagen, wenn ihr zwei Gegner sehen würdet, die in kochendem Wasser untergetaucht oder mit glühendem Eisen in Kontakt gebracht werden, um ihren Streit zu schlichten, und dass derjenige Recht erhält, der die Prüfung besser ertragen konnte? Ihr würdet diese Sitte als unsinnig ansehen. Das Duell ist noch schlimmer als all das. Für einen erfahrenen Duellant ist dies ein kaltblütig begangener Mord mit all dem erforderlichen Vorbedacht, denn er ist sich der Wirksamkeit des Schlages sicher, den er geben wird. Für den Gegner, der nahezu davon überzeugt ist, dass er wegen seiner Schwäche und Unfähigkeit unterliegen wird, ist dies ein mit der kältesten Überlegung begangener Selbstmord.
Ich weiß, dass man sehr oft diese gleichfalls verbrecherische Alternative zu vermeiden versucht hat, indem man es dem Zufall überließ. Ist dies aber nicht in einer anderen Form eine Rückkehr zum „Gottesurteil“ aus dem Mittelalter? Und zu dieser Zeit war man viel weniger schuldig. Der Name Gottesurteil selbst zeigt einen naiven Glauben, aber immer noch einen Glauben an die Gerechtigkeit Gottes, die einen Unschuldigen nicht sterben lassen würde, während man sich beim Duell ja so der brutalen Kraft überlässt, dass es nicht selten der Beleidigte ist, der unterliegt.
Oh, dumme Eigenliebe, törichte Eitelkeit und irrsinniger Hochmut, wann werdet ihr durch die christliche Liebe, die Liebe zum Nächsten ersetzt werden und durch die Liebe, die Jesus euch vorgelebt und gelehrt hat? Nur so werden dann diese scheußlichen Vorurteile verschwinden, die die Menschen immer noch beherrschen und die zu unterbinden die Gesetze außerstande sind, denn es genügt nicht, das Böse zu verbieten und das Gute vorzuschreiben; es ist erforderlich, dass das Prinzip des Guten und die Abscheu vor dem Bösen im Herzen des Menschen verankert ist. (Ein Schutzgeist, Bordeaux, 1861)
14. Was wird man von mir denken, pflegt ihr zu sagen, wenn ich die Wiedergutmachung ablehne, die man von mir verlangt, oder wenn ich sie von demjenigen, der mich beleidigt hat, nicht verlange? Irrsinnige wie ihr, rückständige Menschen werden euch tadeln; aber diejenigen, die durch das Licht des intellektuellen und moralischen Fortschritts aufgeklärt sind, werden sagen, dass ihr in wahrer Weisheit handelt. Denkt ein wenig darüber nach! Wegen eines Wortes, das oft unüberlegt oder total harmlos von einem eurer Brüder und Schwestern gesagt wurde, fühlt euer Stolz sich gekränkt und ihr antwortet auf eine schroffe Art und Weise, und das provoziert. Bevor der entscheidende Moment kommt, fragt ihr euch selbst, ob ihr wie ein Christ handelt? Welche Rechenschaft werdet ihr vor der Gesellschaft ablegen, wenn ihr sie eines ihrer Mitglieder beraubt? Denkt ihr an die Gewissensbisse, die euch plagen werden, weil ihr einer Frau den Mann, einer Mutter den Sohn, den Kindern ihren Vater und Ernährer weggenommen habt? Gewiss, derjenige, der beleidigt hat, schuldet eine Wiedergutmachung, aber wäre es nicht ehrenhafter für ihn, sie ganz spontan zu geben, indem er seine Fehler zugibt, anstatt das Leben desjenigen einer Gefahr auszusetzen, der das Recht hat sich zu beklagen? Was den Beleidigten betrifft, gebe ich zu, dass man sich manchmal tief getroffen fühlt, sei es in eigener Person oder bezüglich derjenigen, die einem sehr nahe stehen. Nicht nur die Selbstachtung steht auf dem Spiel; das Herz ist verwundet, es leidet. Aber abgesehen davon, dass es dumm ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen gegen einen, der zu Niederträchtigkeiten fähig ist, wird eine Beleidigung, welcher Art auch immer, nicht mehr vorhanden sein, wenn der Beleidigende tot ist? Wird das vergossene Blut dem Vorfall nicht noch mehr Bedeutung geben? Einem Vorfall, der - wenn er falsch ist - von selbst in Vergessenheit geraten wird, und der, wenn er wahr ist, im Stillschweigen verborgen werden soll? Es bleibt also nichts anderes als die Genugtuung über die gestillte Rache; leider eine traurige Genugtuung, die oft schon in diesem Leben quälende Gewissensbisse hervorruft. Und wenn der Beleidigte derjenige ist, der stirbt, wo ist dann die Wiedergutmachung?
Ist die Nächstenliebe einmal zur Verhaltensregel der Menschen geworden, werden diese ihre Handlungen und ihre Worte folgendem Grundsatz anpassen: „Tut den andern nicht das, was ihr nicht wollt, das man es euch antut“. Damit werden alle Ursachen von Misshelligkeiten verschwinden und mit ihnen auch alle Gründe für Duelle und Kriege, die Duelle unter den Völkern sind. (François-Xaver, Bordeaux, 1861)
15. Ein Mensch dieser Erde, ein glücklicher, der wegen eines beleidigenden Wortes, einer einfachen Sache, mit dem Leben spielt, das Gott ihm gegeben hat, und mit dem Leben seinesgleichen, das nur Gott gehört, ist hundertmal schuldiger als der Schurke, der von der Gier und manchmal von der Not getrieben in ein Haus eindringt, um zu stehlen, was er begehrt, und der diejenigen tötet, die sich gegen sein Vorhaben stellen. Dieser Letztere ist fast immer ein ungebildeter Mensch, der nur unvollkommene Kenntnisse von Gut und Böse hat, während der Duellant zu der gebildetsten Klasse gehört. Der eine tötet auf eine brutale Art und Weise, der andere mit Methode und Höflichkeit, weshalb die Gesellschaft ihm verzeiht. Ich füge sogar hinzu, dass der Duellant unendlich viel schuldiger ist als der Unglückliche, der Rachegefühlen nachgibt und in einem Augenblick der Gereiztheit tötet. Der Duellant kann nicht die Erregung der Leidenschaft als Entschuldigung vorbringen, da es zwischen der Beleidigung und der Wiedergutmachung immer Zeit zum Überlegen gibt. Er handelt also kaltblütig und aus einem überlegten Vorhaben heraus; alles ist kalkuliert und gut durchdacht, um seinen Gegner sicherer töten zu können. Natürlich setzt er sein Leben auch aufs Spiel, und das rehabilitiert das Duell vor den Augen der Welt, da man darin eine Handlung des Mutes und ein Verachten des eigenen Lebens sieht. Aber, ist es wirklich Mut, wenn man sich seiner Sache sicher ist? Das Duell, ein Überbleibsel der Zeit der Barbarei, in der das Recht der Stärkeren Gesetz war, wird mit einem gesünderen Verständnis der wahren Ehre verschwinden, und in dem Maße, wie der Mensch einen festeren Glauben an das zukünftige Leben haben wird. (Augustin. Bordeaux, 1861)
16. Bemerkung: - Die Duelle werden immer seltener und obwohl wir hin und wieder schmerzhafte Beispiele sehen, ist die Anzahl nicht mehr vergleichbar mit früher. Ehemals ging ein Mann nicht aus dem Haus, ohne mit einer solchen Begegnung zu rechnen, folglich traf er stets die notwendigen Vorkehrungen. Ein deutliches Zeichen der Sitten dieser Zeit und ihrer Völker war, dass offensive oder defensive Waffen, entweder offen oder verdeckt getragen wurden. Die Abschaffung dieser Sitte zeigt die Milderung der Gebräuche, und es ist interessant, seiner allmählichen Abnahme zu folgen, beginnend mit der Zeit, in der die Ritter stets mit ihrer eisernen Rüstung und mit einer Lanze bewaffnet ausritten, bis hin, als nur noch ein einfacher Degen getragen wurde, der eher ein Schmuckstück und Zubehör eines Wappens geworden war, als eine aggressive Waffe. Ein anderes Merkmal der Gebräuche war, dass früher die Zweikämpfe auf offener Straße stattfanden vor einer Menge, die zurückwich, um dafür Platz zu machen, heute geschieht dies versteckt. Heutzutage ist der Tod eines Mannes ein Ereignis, das einen bewegt; früher wurde es gar nicht beachtet. Der Spiritismus wird die letzten Spuren der Barbarei hinwegfegen, indem er den Menschen den Sinn der Nächstenliebe und Brüderlichkeit beibringt.