DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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Verlust geliebter Menschen – Frühtod

21. Wenn der Tod in eure Familien kommt und ohne Einschränkungen die Jüngeren vor den Älteren hinwegrafft, pflegt ihr zu sagen: Gott ist ungerecht, denn ER opfert einen, der stark ist und eine großartige Zukunft vor sich hat, und lässt jene am Leben, die schon lange Jahre voller Enttäuschungen gelebt haben; denn ER nimmt die, die nützlich sind und lässt diejenigen, die zu nichts mehr taugen; und ER zerbricht das Herz einer Mutter, indem ER ihr das unschuldige Wesen entzieht, das ihre ganze Freude war.


Menschen, hier müsst ihr euch über das alltägliche Leben erheben, um zu verstehen, dass das Gute oft da ist, wo ihr meint das Übel zu sehen; die weise Vorsehung da, wo ihr glaubt, das blinde unabwendbare Schicksal zu sehen. Warum messt ihr die göttliche Gerechtigkeit an dem Wert eurer eigenen? Könnt ihr glauben, dass der Herr der Welten euch aus reiner Laune heraus grausame Strafen auferlegen möchte? Nichts geschieht ohne einen bestimmten Zweck, und egal was geschieht, alles hat eine Daseinsberechtigung. Wenn ihr jeden Kummer, der euch trifft, besser durchschauen würdet, würdet ihr in ihm immer die göttliche Vernunft finden, erneuernde Vernunft, und eure schäbigen Interessen wären so nebensächlich, dass ihr sie schließlich verwerfen würdet.


Glaubt mir, der Tod im Alter von 20 Jahren ist besser als diese schamhaften Regellosigkeiten, die ehrwürdige Familien betrüben, das Herz einer Mutter zerbrechen und frühzeitig die Haare der Eltern weiß werden lassen. Der frühe Tod ist oft ein großes Geschenk Gottes an denjenigen, der stirbt und der ihn so vor Lebensleid beschützt und vor Versuchungen, die ihn vielleicht ins Verderben gestürzt hätten. Derjenige, der im besten Alter stirbt, ist kein Opfer des Schicksals, denn Gott hält es nützlicher für ihn, nicht länger auf der Erde zu bleiben.

Es ist ein grausames Unglück, sagt ihr, dass ein Leben voller Hoffnung so früh genommen wird. Von welchen Hoffnungen sprecht ihr? Von den irdischen Hoffnungen, wo der Weggegangene hätte glänzen sowie Karriere machen und reich werden können? Immer dieser engstirnige Blick, der sich nicht über die Materie erheben kann. Wisst ihr, welches Schicksal dieses Leben – eurer Meinung nach, so voller Hoffnung – gehabt hätte? Wer sagt euch, dass es nicht durch bitteres Leid verkürzt worden wäre? Ihr haltet nichts von den Hoffnungen des zukünftigen Lebens und bevorzugt jene des vergänglichen Lebens, welches ihr auf der Erde vertrödelt? Denkt ihr also, dass eine hohe Stellung unter den Menschen mehr wert ist als eine unter den glückseligen Geistern?




Freut euch, anstatt euch zu beschweren, wenn es Gott gefällt, eines eurer Kinder aus diesem Tal des Elends herauszunehmen. Ist es nicht egoistisch zu wünschen, dass es da bleibt, um mit euch zu leiden? Ach! dieser Schmerz ist denkbar bei demjenigen, der keinen Glauben hat und im Tod eine ewige Trennung sieht. Ihr Spiritisten wisst doch, dass die Seele besser lebt, wenn sie von ihrer körperlichen Hülle befreit ist. Mütter, wisst ihr, dass eure geliebten Kinder nahe bei euch sind; ja, sie sind sehr nahe; ihre Perispirit umhüllen euch, ihre Gedanken schützen euch, eure Erinnerung an sie bereiten ihnen Freude; aber eure unvernünftigen Schmerzen bedrücken sie auch, weil sie mangelnden Glauben zeigen und eine Auflehnung gegen Gottes Willen sind.


Ihr, die ihr das spirituelle Leben versteht, hört die Pulsschläge eures Herzens, wenn ihr diese geliebten Wesen ruft und wenn ihr Gott darum bittet, sie zu segnen, werdet ihr in euch diese mächtigen Tröstungen spüren, die die Tränen trocknen, dieses wunderbare Streben, das euch die von dem souveränen Herrn versprochene Zukunft zeigen wird. (Sanson, ehemaliges Mitglied der Spiritistischen Gesellschaft von Paris, 1863)