DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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Nächstenliebe gegenüber Kriminellen

14. Die wahre Nächstenliebe ist eine der erhabensten Lehren, die Gott der Welt gegeben hat. Unter den wahren Schülern SEINER Lehre muss eine vollständige Brüderlichkeit existieren. Ihr sollt die Unglücklichen, die Kriminellen lieben wie Gottes Geschöpfe, denen die Vergebung und die Barmherzigkeit gewährt wird, wenn sie bereuen, wie auch euch die Fehler vergeben werden, die ihr gegen SEIN Gesetz begangen habt. Denkt daran, dass ihr sträflicher seid, schuldiger als diejenigen, denen ihr die Vergebung und das Mitgefühl verweigert, da sie oft Gott nicht kennen, wie ihr IHN kennt, und es wird von ihnen deshalb weniger verlangt als von euch.


Urteilt nicht, oh! urteilt nicht, meine lieben Freunde, weil das Urteil, das ihr fällt, bei euch noch strenger angewandt wird, und ihr braucht Nachsicht für die Sünden, die ihr ununterbrochen begeht. Wisst ihr nicht, dass es viele Handlungen gibt, die vor den reinen Augen Gottes Verbrechen sind, die aber von der Welt nicht einmal als leichte Fehler angesehen werden?


Die wahre Nächstenliebe besteht nicht allein aus den Almosen, die ihr gebt, auch nicht aus den tröstenden Worten, die sie begleiten; nein, das ist es nicht allein, was Gott von euch verlangt. Die erhabene, von Jesus gelehrte Nächstenliebe, besteht auch aus dem Wohlwollen, das ihr immer und bei allen Dingen euren Nächsten gewähren sollt. Ihr könnt diese erhabene Tugend auch bei vielen Menschen ausüben, die keine Almosen brauchen und die die Worte der Liebe, der Tröstung und der Ermutigung zum Herrn führen werden.


Die Zeiten sind nahe, sage ich nochmals, in denen die große Brüderlichkeit auf diesem Planeten herrschen wird. Das Gesetz Christi ist jenes, das die Menschen regieren wird, und nur dieses wird der Rückhalt und die Hoffnung sein und die Seelen zu den seligen Gefilden führen. Liebt euch deshalb wie die Kinder von eines gemeinsamen Vater; macht keinen Unterschied zwischen den anderen Unglücklichen, denn Gott will, dass alle gleich sind; verachtet niemanden. Gott erlaubt, dass große Verbrecher unter euch sind, damit sie euch zur Lehre dienen. Bald, wenn die Menschen zur Anwendung der wahren Gesetze Gottes gebracht werden, werden diese Lehren nicht mehr nötig sein, und alle unreinen und aufrührerischen Geister werden auf niedrigeren Welten verstreut, je nach ihren Neigungen. Ihr schuldet jenen, über die ich spreche, die Hilfe eurer Gebete: Dies ist die wahre Nächstenliebe.


Ihr sollt nicht von einem Verbrecher sagen: „Er ist ein elender Verbrecher; er muss von der Erde ausgemerzt werden; die Todesstrafe, die ihm auferlegt wurde, ist viel zu mild für solch einen Menschen“. Nein, so sollt ihr nicht reden. Schaut euer Vorbild an: Jesus. Was würde Er sagen, wenn Er diesen Unglücklichen neben Sich sehen würde? Er würde ihn bedauern, ihn als einen armseligen Kranken betrachten und ihm die Hand reichen. Ihr könnt das in Wirklichkeit nicht machen, aber ihr könnt zumindest für ihn beten, seinem Geist helfen während der kurzen Zeit, die er noch auf eurer Erde bleiben muss. Die Reue kann sein Herz berühren, wenn ihr mit Glauben betet. Er ist euer Nächster, wie der Beste unter den Menschen. Seine verirrte und aufrührerische Seele ist genau wie eure erschaffen worden, um sich zu verbessern. Helft ihm also aus diesem Sumpf herauszukommen und betet für ihn. (Elisabeth von Frankreich, Le Havre, 1862)