DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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Unterweisungen der geistigen Welt
Niedere und höhere Welten


8. Die Qualifikation der niederen und höheren Welten ist eher relativ als absolut. Eine Welt ist niedriger oder höher bezüglich derer, die in der fortschreitenden Skala unter oder über ihr sind.


Indem man die Erde zum Vergleich nimmt, kann man sich den Zustand einer niederen Welt vorstellen, wenn man sich den Menschen als solchen auf der Stufe einer wilden Rasse oder einer barbarischen Nation vorstellt, welche auch heutzutage noch anzutreffen und Überbleibsel seines primitiven Zustandes sind. In den rückständigen Welten sind ihre Bewohner in einer gewissen Weise primitiv. Sie haben die menschliche Gestalt ohne jegliche Schönheit, ihre Instinkte haben weder Gefühle der Zartheit und des Wohlwollens noch kennen sie Begriffe der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit. Die brutale Kraft ist deren einziges Gesetz. Da sie keine Industrie und Erfindungen haben, verbringen sie das Leben nur zur Beschaffung ihrer Nahrung. Gott verlässt aber keines seiner Geschöpfe; tief in der Finsternis der Intelligenz schlummert die mehr oder weniger entwickelte Intuition eines höheren Wesens. Dieser Instinkt reicht aus, den einen über den anderen zu erhöhen und deren Entfaltung für ein besseres Lebens vorzubereiten; denn es sind keine degradierten Wesen, sondern Kinder Gottes, die im Wachstum begriffen sind.


Zwischen diesen niederen und höchsten Stufen gibt es unzählige Rangstufen und bei den reinen Geistern, dematerialisiert und glänzend von himmlischer Herrlichkeit, kann man sehr schwer die primitiven Wesen von damals wiedererkennen, genauso wie man bei den erwachsenen Menschen schwer den Embryo wiedererkennen kann.


9. In den Welten, die einen höheren Grad erreicht haben, sind die Bedingungen des moralischen und materiellen Lebens ganz anders als diejenigen, die auf der Erde herrschen. Die körperliche Form ist wie überall die menschliche Gestalt, jedoch verschönert, vervollkommnet und vor allem geläutert. Der Körper besitzt nichts von der irdischen Materialität und ist infolge dessen nicht den Bedürfnissen unterworfen, auch nicht den Krankheiten oder dem Verfall, die die dominierende Materie verursacht. Die Sinne, empfindlicher, haben Wahrnehmungen, die auf unserer Erde wegen der Grobheit der Organe verhindert werden. Die spezifische Leichtigkeit des Körpers ermöglicht eine schnelle und leichte Fortbewegung: Statt sich beschwerlich über den Boden zu schleppen, gleitet er sozusagen über die Oberfläche oder er segelt in der Atmosphäre, auf grund der Kraft seines Willens, so wie man die Engel darstellt oder wie man sich früher die Manen (Geister der Verstorbenen) auf den „Elysischen Feldern“ vorstellte. Die Menschen behalten nach ihrem Belieben die Gestalt ihrer vergangenen Existenzen und sie erscheinen ihren Freunden so wie diese sie kannten, jedoch ein göttliches Licht ausstrahlend und verwandelt von inneren Empfindungen, die immer erhaben sind. An Stelle der blassen, durch Leiden und Leidenschaften niedergeschlagenen Gesichter strahlen die Intelligenz und das Leben mit dem Glanz, den die Maler als Heiligenschein oder Aureole der Heiligen dargestellt haben.


Der geringe Widerstand, den die Materie den fortgeschrittenen Geistern leistet, ermöglicht eine schnelle Entwicklung ihrer Körper, kürzt ihre Kindheit ab oder lässt diese sogar fast nicht vorhanden sein. Das Leben, befreit von Sorgen und Angstgefühlen, ist verhältnismäßig viel länger als das auf der Erde. Im Prinzip ist die Langlebigkeit proportional zum Grad des Fortschritts der Welten. Der Tod verursacht nicht die Schrecken des Zerfalls; statt Entsetzen zu verursachen, hält man ihn für eine glückliche Umwandlung, weil dort der Zweifel an die Zukunft nicht existiert. Da die Seele während des Lebens nicht in eine kompakte Materie eingeschnürt ist, strahlt sie und erfreut sich einer Klarheit, die sie in einen fast permanenten Zustand der Unabhängigkeit versetzt und ihr die freie Übertragung des Gedankens ermöglicht.


10. In diesen glücklichen Welten sind die immerwährenden freundschaftlichen Beziehungen von einem Volk zum anderen nie durch den Ehrgeiz getrübt, seinen Nachbarn zu beherrschen, auch nicht durch Kriege, die daraus resultieren würden. Es gibt weder Besitzer noch Sklaven noch Privilegierte durch die Geburt. Allein aus der moralischen und intellektuellen Überlegenheit ergibt sich die Verschiedenheit der Bedingungen und gibt die Oberhoheit. Die Autorität wird immer beachtet, weil sie nur durch Verdienst verliehen und immer mit Gerechtigkeit ausgeübt wird. Der Mensch versucht nicht, sich über den Menschen, sondern über sich selbst zu erheben, indem er sich verbessert. Sein Ziel ist, das Niveau der reinen Geister zu erreichen und dieser unablässige Wunsch ist für ihn keine Qual, sondern ein edles Streben, das ihn mit Eifer zum Lernen antreibt, um ihnen zu gleichen. Alle sanften und erhabenen Gefühle der menschlichen Natur befinden sich dort erhöht und geläutert. Hass, schäbige Eifersucht, niedrige Gier des Neides sind dort unbekannt; Bande der Liebe und der Brüderlichkeit vereinigen alle Menschen; die Stärkeren helfen den Schwächeren. Sie besitzen mehr oder weniger das, was sie mit ihrer Intelligenz erworben haben und niemand erleidet Mangel am Notwendigen, da sich dort niemand zur Sühne aufhält. Kurz gesagt: Das Böse gibt es dort nicht.


11. In eurer Welt habt ihr das Böse nötig, um das Gute zu spüren, die Nacht, um das Licht zu bewundern und die Krankheit, um die Gesundheit zu schätzen. In den höheren Welten sind solche Gegensätze nicht nötig. Das ewige Licht, die ewige Schönheit und die ewige Gemütsruhe der Seele verschaffen eine ewige Freude, die nicht durch Angstgefühle des materiellen Lebens oder durch Kontakt mit Bösen, die dort keinen Zugang haben, gestört wird. Der menschliche Geist hat große Schwierigkeiten dies zu verstehen; er war zwar sehr erfinderisch, um sich die Qualen der Hölle auszumalen, konnte sich aber nie die Freude des Himmels vorstellen. Aber warum das? Da er niedrig entwickelt war, hat er nur Leiden und Elend erfahren, aber nie himmlische Herrlichkeit erleben dürfen. Er kann nur über das sprechen, was er kennt; aber je mehr er sich entwickelt und sich reinigt, erhellt sich der Horizont und er versteht das Gute, das er vor sich hat, wie er das Böse verstanden hat, das hinter ihm geblieben ist.


12. Die glücklichen Welten sind jedoch keine privilegierten Welten; Gott bevorzugt keine Kinder; ER gibt allen die gleichen Rechte und die gleichen Chancen, um diese Welten zu erreichen. ER lässt alle vom gleichen Punkt anfangen und bevorteilt keinen. Die hohen Ziele sind für alle erreichbar; ihnen obliegt nur, sie durch ihre Arbeit zu erringen und so früh wie möglich zu erreichen oder über Jahrhunderte hinweg in dem Morast der Menschheiten untätig zu bleiben. (Zusammenfassung der Belehrung von allen höheren Geistern)