KAPITEL XVI
Man kann nicht Gott und dem Mammon gleichzeitig dienen
• Rettung der Reichen • Sich vor der Habgier hüten • Jesus bei Zachäus • Das Gleichnis vom bösen Reichen • Das Gleichnis von den Talenten • Hilfreiche Nutzung des Vermögens • Prüfungen des Reichtums und der Armut • Ungleichheit der Reichtümer • Unterweisungen der geistigen Welt: Das wahre Eigentum; Anwendung des Reichtums; Loslösung von den irdischen Gütern; Übertragung des Reichtums.
Rettung der Reichen
1. Niemand kann zwei Herren dienen, denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird den einen lieb gewinnen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Mammon dienen. (Lukas, Kap. XVI, 13)
2. Da näherte sich Jesus ein junger Mann und sagte zu Ihm: „Guter Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu erlangen?“ Jesus erwiderte: „Warum nennst du mich gut? Nur Gott allein ist gut. Wenn du in das Leben eintreten möchtest, so beachte die Gebote.“ – „Welche Gebote?“ – Jesus antwortete ihm: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen. Ehre deinen Vater und deine Mutter und liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Der junge Mann erwiderte Ihm: „Ich habe alle diese Gebote von meiner Jugend an befolgt; was fehlt mir noch?“ Jesus sprach zu ihm: „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe was du hast und gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und dann komm und folge mir nach.“ Der junge Mann hörte diese Worte und wurde sehr traurig, denn er besaß viele Güter. – Jesus wandte sich zu Seinen Jüngern und sagte: „Wahrlich, ich sage euch, es ist sehr schwer für einen Reichen, in das Reich Gottes zu kommen. Ich sage euch nochmals: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt *.“ (Matthäus, Kap. XIX, 16-24; Lukas, Kap. XVIII, 18-25; Markus, Kap. X, 17-25)
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* Diese verwegene Darstellung kann ein bisschen übertrieben erscheinen, denn man kann nicht erkennen, welchen Zusammenhang es gibt zwischen einem Kamel und einer Nadel. Es kommt daher, dass auf Hebräisch das gleiche Wort gebraucht wird, um eine Kordel und ein Kamel zu bezeichnen. Bei der Übersetzung hat man ihm diese letzte Bedeutung gegeben; aber Jesus hat wahrscheinlich an die erste Bezeichnung gedacht; sie ist zumindest natürlicher.
Sich vor der Habgier hüten
3. Ein Mann aus dem Volk sagte zu Ihm: „Meister, sage meinem Bruder, dass er das Erbe, das uns zugefallen ist, mit mir teilt.“ –Jesus erwiderte ihm: „Hör zu, wer soll mich dazu bestimmt haben, über euch zu richten oder euer Erbteiler zu sein?“ Dann richtete Er sich an alle und sagte: „Achtet darauf, euch vor jeglichem Geiz zu hüten, denn welchen Überfluss einer auch haben mag, sein Leben hängt nicht von den Besitztümern ab, die er hat.“
Und Er erzählte ihnen daraufhin folgendes Gleichnis: „Es gab einen reichen Mann, dessen Ländereien hervorragende Ernten hervorgebracht hatten, dieser redete mit sich selbst: ‚Was soll ich tun, da ich nicht genug Platz habe, wo ich alles lagern kann, was ich ernten werde?‘. Ich werde Folgendes tun‘, sagte er, ‚ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen und dort lagere ich meine ganze Ernte und alle meine Güter, und ich werde zu meiner Seele sagen: Meine Seele, du hast viele Güter vorrätig für viele Jahre; ruh dich aus, iss, trink, sei fröhlich.‘ – Aber Gott sprach alsdann zu diesem Mann: ‚Wie unsinnig du bist! Man wird dir noch in dieser Nacht deine Seele wegnehmen, und für wen sind die Sachen, die du angehäuft hast?‘ So geschieht es mit demjenigen, der für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist. (Lukas, Kap. XXI, 13-21)
Jesus bei Zachäus
4. Jesus kam nach Jericho, ging durch die Stadt; – dort gab es einen Mann namens Zachäus, der Oberzöllner war und sehr reich. Er versuchte Jesus zu sehen, um Ihn kennen zu lernen, aber er vermochte es nicht wegen der Volksmenge, denn er war klein von Gestalt. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um Ihn zu sehen, denn Er sollte auf diesem Weg hindurch ziehen. Jesus kam an den Ort, blickte zu ihm auf und sprach: Zachäus, komm herunter, denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein. Zachäus stieg eilends herab und nahm Ihn mit Freuden auf. – Alle sahen das, murrten und sagten: „Zu einem sündigen Mann geht Er, um bei ihm zu wohnen.“ (Siehe „Einleitung“, Abschnitt - Zöllner)
Zachäus aber trat zu Jesus hin und sagte: „Herr, die Hälfte meines Besitzes gebe ich den Armen, und wenn ich irgendjemandem Unrecht getan habe, wodurch auch immer, gebe ich es ihm vierfach zurück.“ – Da sprach Jesus zu ihm: „Diesem Haus ist heute Heil widerfahren, denn auch du bist ein Sohn Abrahams. Der Menschensohn ist gekommen, um das, was verloren war, zu suchen und zu retten.“(Lukas, Kap.XIX,1-10)
Das Gleichnis vom bösen Reichen
5. Es gab einen reichen Mann, der sich in Purpur und kostbare Leinwand kleidete und der sich jeden Tag herrlich behandeln ließ. Es gab auch einen armen Mann, namens Lazarus, der vor seiner Tür lag, vollkommen mit Geschwüren bedeckt, und der begehrte, sich von den Krumen sättigen zu dürfen, die vom Tisch des Reichen fielen. Aber niemand gab sie ihm, und die Hunde kamen und beleckten seine Geschwüre.
Es begab sich aber, dass der Arme starb und dass er von den Engeln in Abrahams Schoss getragen wurde. Der Reiche starb auch und das Grab wurde ihm zur Hölle. Als er im Totenreich, von Qualen geplagt, seine Augen erhob, sah er Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoss. Er schrie auf und sagte: „Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus zu mir, damit er die Spitze eines Fingers ins Wasser tauche, um meine Zunge zu kühlen, denn ich erleide grauenhafte Qualen in diesen Flammen.“
Aber Abraham antwortete ihm: „Mein Sohn, erinnere dich daran, dass du in deinem Leben dein Gutes empfangen hast und Lazarus nichts anderes, als das Übel hatte; deshalb wird er jetzt getröstet und du erleidest Qualen.
Außerdem gibt es zwischen uns und dir für immer eine große Kluft; so dass diejenigen, die von hier zu dir hinübergehen wollen, das nicht können, so wie auch niemand von dem Ort, wo du dich befindest, nach hier kommen kann. “
Daraufhin sagte der Reiche: „Ich flehe dich an, Vater Abraham, sende ihn in das Haus meines Vaters, wo noch fünf Brüder von mir leben, auf dass er ihnen von diesen Dingen Zeugnis geben kann, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qualen kommen.“ – Abraham erwiderte ihm: „Sie haben Moses und die Propheten; auf die sollen sie hören.“ – „Nein, mein Vater Abraham, sagte der Reiche, aber wenn einer von den Toten zu ihnen geht, dann werden sie Buße tun.“ – Abraham antwortete ihm: „Wenn sie weder auf Moses noch auf die Propheten hören, werden sie auch nicht daran glauben, selbst wenn einer von den Toten auferstehen würde. (Lukas, Kap. XVI, 19-31)
Das Gleichnis von den Talenten
6. Der Herr handelt wie ein Mann, der außerhalb seines Landes eine lange Reise machen musste, und der seine Knechte zu sich rief und ihnen sein Vermögen übergab. – Nachdem er dem einen fünf Talente gab, dem anderen zwei, einem andern eins, entsprechend der verschiedenen Fähigkeiten eines jeden, reiste er alsbald ab.
Derjenige, der fünf Talente empfangen hatte, ging fort, handelte mit diesem Geld und gewann fünf andere. Ebenso gewann derjenige, der zwei Talente empfangen hatte, zwei andere. Derjenige aber, der nur ein Talent empfangen hatte, ging hin, machte eine Grube in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.
Nach langer Zeit kam der Herr jener Knechte zurück und rechnete mit ihnen ab. Und derjenige, der fünf Talente empfangen hatte, überreichte ihm noch weitere fünf Talente und sagte: „Herr, fünf Talente hattest du mir gegeben, siehe, ich habe fünf andere Talente dazu gewonnen.“ Sein Herr sprach zu ihm: „Du guter und treuer Knecht, weil du über Weniges treu gewesen bist, werde ich dir Vieles anvertrauen, komm und nimm an der Freude deines Herrn teil.“ Auch derjenige, der zwei Talente empfangen hatte, trat herzu und sagte zu ihm: „Herr, zwei Talente hattest du mir gegeben, siehe, ich habe noch zwei weitere dazu gewonnen.“ Sein Herr sprach zu ihm: „Du guter und treuer Knecht, du bist über Weniges treu gewesen; ich will dir Vieles anvertrauen. Komm und nimm an der Freude deines Herrn teil.“ Danach trat derjenige herzu, der ein Talent empfangen hatte, und sagte ihm: „Herr, ich weiß, dass du ein harter Mensch bist; dass du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast, deshalb, und da ich mich vor dir fürchtete, habe ich dein Talent in der Erde verborgen. Siehe, ich gebe es dir nun zurück.“ –Sein Herr antwortete ihm daraufhin: „Du böser und fauler Knecht, du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Du hättest dann mein Geld den Bankiers geben sollen, damit ich bei meiner Rückkehr das Meinige mit Zinsen hätte zurückerhalten können. Nehmt ihm das Talent ab und gebt es dem, der die zehn Talente hat. Denn jedem, der hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben. Dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, was er scheinbar besitzt, man werfe diesen unnützen Knecht hinaus in die Finsternis; dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Matthäus, Kap. XXV, 14-30)
Hilfreiche Nutzung des Vermögens.
Prüfungen des Reichtums und der Armut
7. Falls der Reichtum ein unbedingtes Hindernis zur Rettung desjenigen wäre, der ihn besitzt, wie man aus bestimmten Worten Jesus schließen könnte, wenn man sie wortwörtlich interpretieren würde und nicht gemäß dem Verstand, hätte Gott, der den Reichtum verteilt, ein verhängnisvolles Instrument des Verderbens in die Hände einiger gelegt, ein Gedanke, der der Vernunft widerstrebt. Der Reichtum ist ohne Zweifel eine riskante Prüfung – gefährlicher als die Not – wegen seiner Macht, den Versuchungen, die er erzeugt, der Verblendung, die er ausübt. Er ist der größte Anreiz zum Stolz, des Egoismus und des sinnlichen Lebens. Er ist die stärkste Bindung, die den Menschen mit der Erde verhaftet und seine Gedanken vom Himmel entfernt. Er verursacht einen solchen Schwindel, dass man oft bei jenem sehen kann, der von der Not zum Reichtum überwechselt, wie er seinen ersten Zustand vergisst, und auch jene, die die Not mit ihm geteilt haben, jene die ihm geholfen haben, und dass er gefühlsarm, egoistisch und eitel wird. Aber aus dem Grund, dass der Reichtum den Weg erschwert, folgt nicht, dass er ihn unmöglich macht, sondern auch ein Mittel der Rettung in den Händen desjenigen sein kann, der sich dieses Reichtums zu bedienen weiß, so wie bestimmte Gifte die Gesundheit wieder herstellen können, wenn sie bewusst und mit Unterscheidungs-vermögen verabreicht werden.
Als Jesus zu dem jungen Mann, der Ihn nach den Mitteln fragte, um das ewige Leben zu erreichen, sagte: „Befreie dich von allen deinen Gütern und folge mir nach“ wollte Er damit nicht den unbedingten Grundsatz festlegen, dass jeder sich von seinen Besitztümern befreien müsste und dass man die Rettung nur auf diese Weise erreichen kann, sondern zeigen, dass das Festhalten an irdischen Gütern ein Hindernis für die Rettung ist. Dieser junge Mann glaubte nämlich frei zu sein, weil er bestimmte Gebote beachtet hatte und dennoch schreckte er vor der Idee zurück, sein Vermögen aufzugeben. Sein Wunsch, das ewige Leben zu erhalten, war nicht so stark, um dieses Opfer bringen zu können.
Der Vorschlag, den Jesus ihm machte, war eine entscheidende Prüfung, um das Wesentliche seiner Gedanken offen zu legen. Er konnte zweifelsohne ein ganz ehrlicher Mann im weltlichen Sinne sein, niemandem Schaden zufügen, nichts Schlechtes über seinen Nachbarn sagen, weder eitel noch stolz sein, seinen Vater und seine Mutter ehren, aber er besaß nicht die wahre Nächstenliebe, da seine Tugend nicht bis hin zur Opferbereitschaft ging. Dieses wollte Jesus damit aufzeigen; es war die Anwendung des Grundsatzes: „Außerhalb der Nächstenliebe gibt es kein Heil“.
Die Folge dieser Worte, in ihrer wörtlichen Auslegung, wäre die Abschaffung des Reichtums, weil schädlich für das zukünftige Glück und Ursache einer Menge von Übeln auf der Erde. Sie wäre außerdem die Verurteilung der Arbeit, die ihn verschafft; eine unsinnige Folgerung, die den Mensch zum primitiven Leben zurückbringen würde und daher im Widerspruch zum Gesetz des Fortschritts wäre, welches ein Gesetz Gottes ist.
Wenn der Reichtum die Ursache vieler Übel ist, wenn er so viele schlechte Leidenschaften erweckt, wenn er sogar so viele Verbrechen verursacht, darf man nicht ihn, als Sache beschuldigen, sondern den Menschen, der ihn missbraucht, wie er auch alle Gaben Gottes missbraucht. Durch den Missbrauch macht er schädlich, was ihm sehr nützlich sein könnte. Dies ist eine Folge des minderwertigen Zustands der irdischen Welt. Wenn der Reichtum nur Übel verursachen würde, hätte Gott ihn nicht auf die Erde gegeben. Es obliegt dem Menschen, aus ihm das Gute hervorzubringen. Wenn er auch nicht ein direktes Element des moralischen Fortschritts ist, so ist er zweifellos ein mächtiges Element des intellektuellen Fortschritts.
Der Mensch hat nämlich die Aufgabe, für die materielle Verbesserung des Planeten zu arbeiten. Er soll ihn urbar machen, sanieren und bewohnbar machen, um eines Tages die ganze Bevölkerung aufnehmen zu können, die seine Fläche zulassen kann. Um diese Bevölkerung zu ernähren, die ununterbrochen zunimmt, ist es notwendig, die Produktion zu erweitern. Wenn die Produktion in einem Land nicht ausreichend ist, muss sie irgendwoanders hergeholt werden. Darum sind die Beziehungen unter den Völkern eine Notwendigkeit. Um sie leichter zu machen, muss man die materiellen Hindernisse, die sie trennen, vernichten und die Verbindungen beschleunigen. Für diese Arbeiten, die das Werk von Jahrhunderten sind, musste der Mensch die Materialien sogar aus dem Erdinneren gewinnen. Er sucht in der Wissenschaft nach Mitteln, um diese Arbeiten sicherer und schneller ausführen zu können. Aber um sie zu verwirklichen, bedarf er bestimmter Hilfsmittel: Die Notwendigkeit brachte ihn dazu, den Reichtum zu erschaffen, wie auch die Wissenschaft zu entdecken. Die Tätigkeit, die diese Arbeiten erforderlich macht, erweitert und entwickelt die Intelligenz des Menschen, und diese Intelligenz, die er zuerst auf die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse konzentriert, wird ihm später helfen, die großen moralischen Wahrheiten zu verstehen. Der Reichtum ist das wichtigste Hilfsmittel zur Ausführung von allem; ohne ihn gäbe es keine großen Arbeiten, keine Tätigkeit, weder Ansporn noch Forschung. Der Reichtum wird also mit Recht als ein Element des Fortschritts angesehen.
Ungleichheit der Reichtümer
8. Die Ungleichheit der Reichtümer ist eins von diesen Problemen, das man vergeblich zu lösen sucht, wenn man nur das gegenwärtige Leben betrachtet. Die erste Frage, die sich stellt, ist diese: Warum sind nicht alle Menschen gleichmäßig reich? Sie sind es nicht aus dem ganz einfachen Grund, dass sie weder alle genauso intelligent, aktiv und fleißig sind, um ihn zu erwerben, noch maßvoll und vorausschauend, um ihn zu bewahren. Dies ist übrigens ein mathematisch bewiesener Punkt, dass der gleichmäßig verteilte Reichtum einem jeden nur einen geringen und ungenügenden Anteil geben würde. Angenommen man würde eine solche gleichmäßige Verteilung vornehmen, dann wäre das Gleichgewicht in kurzer Zeit zerstört durch die Unterschiedlichkeit der Charaktere und Fähigkeiten. Vorausgesetzt, dass dies möglich und dauerhaft wäre und jeder nur das Notwendigste zum Leben hätte, dann wäre das die Vernichtung aller großen Arbeiten, die zum Fortschritt und dem Wohlergehen der Menschheit beitragen. Angenommen, dass der Reichtum allen das Notwendige geben würde, dann gäbe es nicht mehr den Ansporn, der für alle großen Entdeckungen und wichtigen Unternehmungen notwendig ist. Wenn Gott ihn auf bestimmte Punkte konzentriert, geschieht es, damit er sich von diesen aus, entsprechend der Bedürfnisse, in ausreichender Menge verbreitet.
Wenn man dies gelten lässt, fragt man sich, warum Gott den Reichtum Leuten gibt, die unfähig sind, ihn zum Wohle aller nützlich zu machen. Jedoch gibt es hier einen Beweis der Weisheit und Güte Gottes. Indem ER dem Menschen den freien Willen gab, wollte ER, dass der Mensch durch seine eigene Erfahrung den Unterschied zwischen Gut und Böse erkennen lernt und dass die Ausübung des Guten das Ergebnis seiner Bemühungen und seines eigenen Willens war. Er soll weder durch Zwang zum Guten noch zum Bösen geführt werden, sonst wäre er nur ein passives und verantwortungsloses Instrument, wie die Tiere. Der Reichtum ist ein Mittel, ihn moralisch zu prüfen. Da aber der Reichtum gleichzeitig ein mächtiges Mittel zur Erlangung des Fortschritts ist, möchte Gott nicht, dass er lange Zeit unproduktiv bleibt, daher verlagert ER ihn ständig. Jeder soll ihn einmal besitzen, um auszuprobieren, sich seiner zu bedienen und zu beweisen, welchen Gebrauch er davon machen kann. Da es aber praktisch unmöglich ist, dass ihn alle gleichzeitig besitzen und außerdem niemand mehr arbeiten würde, falls alle Menschen ihn besäßen, und die Verbesserung der Welt darunter leiden würde. Jeder besitzt ihn zu seiner Zeit. Wer ihn daher heute nicht besitzt, hat ihn schon gehabt oder wird ihn in einer anderen Existenz besitzen; und wer ihn heute besitzt, kann ihn morgen nicht mehr besitzen. Es gibt Reiche und Arme; und da Gott gerecht ist, soll jeder zu seiner Zeit arbeiten. Die Armut ist für einige die Prüfung der Geduld und des Verzichtes; der Reichtum ist für andere die Prüfung der Nächstenliebe und der Opferbereitschaft.
Mit Recht beklagt man den bedauerlichen Gebrauch, den einige Menschen von ihrem Reichtum machen; die abscheulichen Leidenschaften, die die Habgier verursacht, und man fragt sich, ob Gott gerecht ist, indem ER solchen Menschen den Reichtum gibt. Gewiss ist, dass, wenn der Mensch nur eine Existenz hätte, nichts diese Verteilung der irdischen Güter rechtfertigen würde; wenn man aber die Gesamtheit der Existenzen betrachtet – anstatt den Blick auf das gegenwärtige Leben zu begrenzen – sieht man, dass sich alles mit Gerechtigkeit ausgleicht. Der Arme hat dann weder einen Grund die Vorsehung zu beschuldigen noch den Reichen zu beneiden; und die Reichen haben auch keinen Grund mehr, sich mit dem zu rühmen, was sie besitzen. Falls sie ihn missbrauchen, wird man weder mit Verordnungen noch mit übertriebenen Gesetzen den Schaden beheben. Die Gesetze können vorübergehend das Äußere verändern, sie können aber nicht das Herz verändern; deswegen sind sie von einer kurzen und vorübergehenden Dauer und auf sie folgt immer eine zügellose Reaktion. Der Ursprung des Übels liegt im Egoismus und im Hochmut. Die Missbräuche aller Art werden aufhören, wenn die Menschen sich nach dem Gesetz der Nächstenliebe richten.
Unterweisungen der geistigen Welt
Das wahre Eigentum
9. Der Mensch besitzt als Eigentum nur das, was er von dieser Welt mitnehmen kann. Was er hier vorfindet, wenn er ankommt, und was er hier lässt, wenn er weggeht, das genießt er während seines Aufenthalts auf der Erde. Aber da er ja gezwungen ist, das Eigentum zurückzulassen, hat er von ihm nur den Genuss und nicht den wirklichen Besitz. Was besitzt er dann? Nichts von dem, was für den Gebrauch des Körpers ist, aber alles, was für den Gebrauch der Seele ist: Die Intelligenz, die Kenntnisse, die moralischen Eigenschaften. Das ist es, was er mit sich bringt und mit sich nimmt, und niemand hat das Recht ihm wegzunehmen, was ihm in der anderen Welt noch nützlicher sein wird als in dieser. Es hängt von ihm ab, reicher zu sein beim Weggehen als beim Ankommen, denn seine zukünftige Position hängt von dem ab, was er an Gutem erworben hat. Wenn ein Mensch in ein fernes Land reist, stellt er sein Gepäck mit Dingen zusammen, die in diesem Land nützlich für ihn sind; er wird sich aber nicht mit Sachen belasten, die ihm unnütz sein werden. Tut deshalb das Gleiche für das zukünftige Leben und versorgt euch mit allem, was euch dort nützlich sein kann.
Dem Reisenden, der in einer Herberge ankommt, gibt man die beste Unterbringung, wenn er sie bezahlen kann. Demjenigen, der wenig Geld hat, gibt man eine weniger angenehme Unterbringung; und derjenige, der nichts hat, schläft auf dem Stroh. So geschieht es mit dem Menschen, wenn er in der geistigen Welt ankommt: Sein Platz hängt von seiner Habe ab, aber diesen bezahlt er nicht mit Gold. Man wird ihn nicht fragen: Wie viel hattest du auf der Erde? Welche Position besaßest du? Warst du ein Prinz oder ein Handwerker? Man wird ihn aber fragen: Was bringst du mit? Weder der Wert seines Vermögens noch seiner Titel werden angerechnet, sondern die Summe seiner Tugenden. Nun, bei dieser Rechnung kann der Handwerker reicher sein als der Prinz. Vergeblich wird er argumentieren, dass er vor seiner Abreise den Eintritt in den Himmel mit Gold bezahlt hat. Man wird ihm antworten: „Die Positionen hier werden nicht gekauft; diese verdient man durch das Gute, das man tut. Mit dem irdischen Geld konntest du dir Ländereien, Häuser, Paläste kaufen, aber hier bezahlt man nur mit den Eigenschaften des Herzens. Bist du reich an diesen Eigenschaften? – Sei willkommen, und gehe zum ersten Platz, wo alle Glückseligkeit auf dich wartet. Bist du arm an diesen Eigenschaft? – Gehe zum letzten Platz, wo du gemäß deiner Habe behandelst wirst.“ (Pascal, Genf 1860)
10. Die Vermögen der Erde gehören Gott, der sie verteilt gemäß SEINEM Willen. Der Mensch ist nur Nutznießer, Verwalter, mehr oder weniger rechtschaffen und intelligent. Sie gehören nicht dem Menschen als individuelles Eigentum, da Gott sehr oft alle seine Vorhaben zum Scheitern bringt, sodass das Vermögen demjenigen entrinnt, der es mit den besten Titeln zu besitzen glaubt.
Ihr werdet vielleicht sagen, dass dies hinsichtlich des geerbten Vermögens verständlich ist, aber nicht hinsichtlich desjenigen, das man durch seine Arbeit erworben hat. Ohne Zweifel, wenn es ein legitimes Vermögen gibt, ist es dieses Letzte, sofern es ehrlich erworben wurde, denn ein Besitz wurde nur dann rechtmäßig erworben, wenn durch seinen Erwerb niemand Schaden erlitten hat. Rechenschaften werden gefordert, auch für einen einzigen Heller, der zum Nachteil von anderen erworben wurde. Aber folgt aus der Tatsache, dass jemand nur sich selbst den Reichtum, den er besitzt, zu verdanken hat, dass er beim Sterben mehr davon mitnehmen kann? Sind es nicht oft zwecklose Maßnahmen, die er trifft, um ihn seinen Nachkommen zu übertragen? Gewiss, denn falls Gott es nicht möchte, dass der Reichtum ihnen zukommen soll, kann nichts gegen SEINEN Willen den Sieg davontragen. Kann es sein, dass der Mensch während seines Lebens von seinem Vermögen Gebrauch und Missbrauch machen kann, ohne Rechenschaft darüber ablegen zu müssen? Nein! Indem Gott es ihm erlaubte, den Reichtum zu erwerben, wollte ER während dieser irdischen Existenz seine Bemühungen, seinen Mut, seine Beharrlichkeit belohnen. Wenn er es aber nur zur Befriedigung seiner Sinne oder seines Stolzes benutzte, wenn der Reichtum ein Grund für seinen Verfall geworden ist, wäre es besser für ihn gewesen, diesen nicht besessen zu haben. Er verliert auf einer Seite, was er auf der anderen gewonnen hat, und so annulliert er das Verdienst seiner Arbeit. Wenn er dann die Erde verlässt, wird Gott ihm sagen, dass er seine Belohnung schon bekommen hat. (M., Schutzgeist, Brüssel, 1861)
Anwendung des Reichtums
11. Ihr könnt nicht Gott und Mammon gleichzeitig dienen. Behaltet diese Bemerkung gut in Erinnerung, ihr, die ihr von der Liebe zum Gold beherrscht werdet; ihr, die ihr eure Seele verkaufen würdet, um Schätze zu besitzen, weil sie es euch ermöglichen, euch über die andern Menschen zu erheben und euch die Genüsse der Leidenschaften zu verschaffen. Nein, ihr könnt nicht Gott und dem Mammon gleichzeitig dienen! Wenn ihr also merkt, dass eure Seele von der Begierde des Fleisches beherrscht wird, beeilt euch, um euch von diesem Joch zu befreien, das auf euch lastet, weil Gott, gerecht und streng, euch fragen wird: Was hast du aus den Gütern gemacht, die ich dir anvertraut habe? Dieses mächtige Mittel der guten Werke hast du ausschließlich für deine persönliche Befriedigung benutzt.
Welche ist dann die bessere Verwendung, die man von dem Vermögen machen kann? Sucht bei diesen Worten die Lösung des Problems: „Liebt einander“, denn hier liegt das Geheimnis, sein Vermögen gut zu verwenden. Derjenige, der von der Liebe zum Nächsten erfüllt ist, der hat den Weg gefunden, wie er sich verhalten soll. Die Anwendung, die Gott am meisten gefällt, ist die Nächstenliebe; nicht diese kalte und egoistische Nächstenliebe, die aus der Verteilung von überflüssigen Dingen aus einem goldenen Leben heraus besteht, sondern jene Nächstenliebe, die voller Liebe ist, die das Unglück sucht und es beseitigt, ohne den Nächsten zu demütigen.
Reicher, gib von deinem Überfluss; oder mach es noch besser: Gib von deinem Notwendigsten, weil dein Notwendiges schon Überfluss ist; aber gib mit Weisheit. Weise die Leidenden nicht zurück, aus Angst betrogen zu werden, sondern suche die Quelle des Übels. Hilf zuerst, informiere dich anschließend, und sieh, ob die Arbeit, die Ratschläge und sogar die Zuneigung nicht wirksamer wären als deine Almosen. Verbreite um dich herum ganz ungezwungen die Liebe zu Gott, die Liebe zur Arbeit, die Liebe zum Nächsten. Setz dein Vermögen auf eine solide Basis, die niemals verloren gehen wird und dir einen grossen Gewinn einbringt: Die guten Taten. Der Reichtum an Intelligenz soll dir dienen, wie der Reichtum an Gold. Verbreite um dich herum die Schätze des Wissens; verbreite unter deinen Brüdern und Schwestern die Schätze der Liebe, und sie werden Früchte tragen. (Cheverus, Bordeaux, 1861)
12. Wenn ich die Kürze des Lebens betrachte, bin ich schmerzlich erschüttert von der unaufhörlichen Sorge um das materielle Wohlergehen, das euer Ziel ist, während ihr auf eure moralische Vervollkommnung, die so wichtig für die Ewigkeit ist, so wenig Wert legt und wenig oder gar keine Zeit darauf verwendet. Man könnte glauben, angesichts der Aufwandes, den ihr dafür betreibt, dass das in Verbindung mit der Frage des höchsten Interesses für die Menschheit stünde, dabei handelt es sich fast immer nur darum, eure übertriebenen Notwendigkeiten zu befriedigen, sich der Eitelkeit oder Ausschweifungen hinzugeben. Wie viele Leiden, Kummer, Qualen fügt man sich zu, wie viele schlaflose Nächte erleidet man, um sein oft schon ausreichendes Vermögen zu vergrößern. Als Gipfel der Blindheit kann man nicht selten jene ansehen, die – wegen einer unmäßigen Liebe zum Reichtum und den damit ermöglichten Genüssen – sich zu anstrengenden Arbeiten zwingen, sich sozusagen eine aufopfernde Existenz einbilden, als ob sie für die andern und nicht für sich selbst arbeiten würden. Unsinnige Menschen! Glaubt ihr wirklich, dass euch eure Sorgen und Bemühungen, angetrieben durch den Egoismus, die Gier oder den Hochmut, angerechnet werden, während ihr eure Zukunft vernachlässigt, und ebenso auch die Pflichten, die die brüderliche Solidarität jedem auferlegt, der die Vorteile des sozialen Lebens genießt? Ihr habt nur an euren Körper gedacht, euer Wohlergehen; eure Genüsse waren das einzige Ziel eures egoistischen Eifers. Für den Körper, der stirbt, habt ihr euren Geist, der ewig leben wird, vernachlässigt. Daher hat sich dieser so verwöhnte und zärtlich gepflegte Körper zu eurem Tyrannen verwandelt. Er befiehlt eurem Geist, der zu seinem Sklaven geworden ist. War dies die Zweckbestimmung der Existenz, die Gott euch gegeben hat? (Ein Schutzgeist, Krakau, 1861)
13. Der Mensch als Treuhänder, als Verwalter der Güter, die Gott in seine Händen gelegt hat, wird strenge Rechenschaft ablegen müssen, über den Gebrauch, den er kraft seines freien Willens gemacht hat. Der Missbrauch besteht darin, sie ausschließlich nur zu seiner persönlichen Befriedigung genutzt zu haben. Der Gebrauch dagegen ist jedes Mal gut, wenn daraus etwas Gutes für andere hervorgeht. Das Verdienst ist proportional zum Opfer, das man sich auferlegt. Die Wohltätigkeit ist nur eine Art, wie der Reichtum verwendet werden kann; er gibt dem gegenwärtigen Elend Erleichterung, stillt den Hunger, schützt vor Kälte und verschafft demjenigen Obdach, der keins hat. Aber eine Pflicht, die ebenso dringend und verdienstvoll ist, besteht darin, dem Elend vorzubeugen; dies ist vor allem das Aufgabengebiet großer Reichtümer. Eine Aufgabe, die durch Arbeiten jeglicher Art, die man mit dem Reichtum ausführen lassen kann, erfüllt werden wird. Selbst wenn die Reichen daraus einen legitimen Gewinn erzielen, so ist dies nicht weniger eine gute Tat, weil diese Arbeiten die Intelligenz weiterentwickelt und die Würde des Menschen erhöht, da dieser stolz ist, sagen zu können, dass er das Brot, das er isst, selbst verdient hat – während das Almosen demütigt und erniedrigt.
Der Reichtum, der sich in einer Hand befindet, soll wie eine Quelle fließenden Wassers sein, die Fruchtbarkeit und Wohlergehen um sich herum verbreitet. Oh, ihr Reichen, die ihr euern Reichtum entsprechend den Wünschen Gottes verwendet, ihr werdet die ersten sein, die den Durst des Herzens an dieser wohltuenden Quelle stillen werden. Ihr werdet in diesem Leben die unaussprechlichen Genüsse der Seele erleben, statt der materiellen Genüsse des Egoisten, die in seinem Herzen nur eine Leere zurücklassen. Euer Name wird auf der Erde gesegnet werden, und wenn ihr sie verlasst, wird der allmächtige Gott euch – wie im Gleichnis der Talente – sagen: „Guter und treuer Diener, nehme an der Freude eures Herrn teil“. Ist in diesem Gleichnis nicht der Diener, der das ihm anvertraute Geld in der Erde vergräbt, das Sinnbild des Geizigen, in dessen Händen das Geld unproduktiv ist? Da Jesus allerdings prinzipiell von Almosen spricht, liegt dies daran, dass zu jener Zeit und in dem Land, in dem Er lebte, man noch nicht die Arbeiten kannte, die die Künste und die Industrie seitdem geschaffen haben, bei denen das Vermögen nützlich für das Allgemeinwohl eingesetzt werden kann. Allen, die viel oder wenig geben können, sage ich daher: „Gebt Almosen, wenn dies notwendig ist, aber verwandelt sie so weit wie möglich in Lohn um, damit derjenige, der ihn erhält, sich nicht schämt. (Fénelon, Algier, 1860)
Loslösung von den irdischen Gütern
14. Ich komme, meine Brüder und Schwestern, meine Freunde, um euch meinen bescheidenen Beitrag zu leisten, um euch zu helfen, mutig auf dem eingeschlagenen Weg fortzuschreiten. Wir sind einer dem anderen verpflichtet und nur durch die ehrliche und brüderliche Vereinigung zwischen den nicht inkarnierten und den inkarnierten Geistern wird die Erneuerung möglich sein.
Eure Liebe zu den irdischen Gütern ist eins der stärkeren Hindernisse für euren moralischen und geistigen Fortschritt. Durch dieses Klammern an den Besitz vernichtet ihr eure Fähigkeit zu lieben, weil ihr eure Fähigkeiten nur auf materielle Dinge ausrichtet. Seid ehrlich: Verschafft das Vermögen ein ungetrübtes Glück? Wenn eure Tresore voll sind, gibt es nicht immer eine Leere in eurem Herzen? Ist nicht immer auf dem Boden dieses Blumenkorbes eine Schlange versteckt? Ich verstehe, dass ein Mensch, der ein Vermögen durch seine beharrliche und ehrliche Arbeit errungen hat, eine gerechte Freude darüber empfindet. Aber von dieser sehr natürlichen und von Gott gebilligten Freude bis zum Festklammern am Vermögen, das jegliche anderen Gefühle absorbiert und die Impulse des Herzens lähmt, ist eine weite Spanne; ebenso weit wie vom widerlichen Geiz bis zur übertriebenen Verschwendung. Zwei Laster, zwischen die Gott die Nächstenliebe – diese heilige und heilsame Tugend – gesetzt hat, die den Reichen lehrt, ohne Prahlerei zu geben, damit der Arme, ohne sich gedemütigt zu fühlen, empfangen kann.
Ganz gleich, ob der Reichtum von eurer Familie stammt oder ob ihr ihn durch eure Arbeit erworben habt; es gibt eine Sache, die ihr niemals vergessen solltet, nämlich, dass alles von Gott kommt und zu Gott zurückkehrt. Nichts auf der Erde gehört euch, nicht einmal euer Körper: der Tod beraubt euch dieses Reichtums wie auch aller materieller Güter. Ihr seid Verwalter aber nicht Eigentümer; täuscht euch nicht darüber. Gott hat sie euch geliehen, und ihr müsst sie zurückgeben. ER leiht sie euch unter der Bedingung, dass ihr zumindest den Überschuss denen zukommen lässt, denen das Notwendigste fehlt.
Einer von euren Freunden leiht euch eine Summe; egal wie wenig ehrlich ihr seid, ihr besteht darauf, sie ihm gewissenhaft zurückzugeben und seid ihm dankbar. Dies ist die Haltung eines reichen Menschen. Gott ist der himmlische Freund, der ihm den Reichtum geliehen hat und der für sich nur die Liebe und Anerkennung des Reichen haben möchte. ER verlangt von ihm aber, dass er seinerseits den Armen gibt, weil sie genauso wie er SEINE Kinder sind.
Das Vermögen, das Gott euch anvertraut hat, erweckt eine glühende und wahnsinnige Gier in euren Herzen. Habt ihr schon darüber nachgedacht, dass ihr – wenn ihr euch unmäßig an einen vergänglichen Reichtum klammert, der genauso vorübergehend ist wie ihr selbst seid – eines Tages dem Herrn Rechenschaft ablegen müsst über das, was von IHM kam? Vergesst ihr, dass ihr durch den Reichtum die heiligen Aufgaben des Vertreters der Nächstenliebe auf der Erde übernommen habt, um den Reichtum auf intelligente Art zuteil werden lassen? Was werdet ihr sein, wenn ihr das, was euch anvertraut wurde, nur zu euren Gunsten benutzt, als ein untreuer Verwalter? Was ergibt sich aus diesem freiwilligen Vergessen eurer Pflichten? Der unbeugsame, unerbittliche Tod wird den Schleier zerreißen, unter dem ihr euch versteckt habt, und wird euch zwingen, vor dem Freund, der euch geholfen hat, Rechenschaft abzulegen und der in diesem Moment im Amt des Richters vor euren Augen erscheinen wird.
Vergeblich versucht ihr auf der Erde euch zu täuschen, indem ihr euch mit dem Namen der Tugend färbt, was sehr oft nur Egoismus ist. Vergeblich nennt ihr Sparsamkeit und Vorsorge, was nur Gier und Geiz ist, oder Edelmut, was nichts anderes ist als Verschwendung zu euren Gunsten. Ein Familienvater, zum Beispiel, der keine Nächstenliebe ausübt, wird sparen, Gold über Gold anhäufen, und dies alles, wie er sagt, um das Maximum an möglichen Gütern für seine Kinder zu hinterlassen und ihnen den Fall ins Elend zu ersparen. Das ist gerecht und sehr väterlich, ich erkenne das an, und man kann ihn nicht tadeln. Aber ist dies das einzige Motiv, das ihn leitet? Ist es nicht sehr oft ein Kompromiss mit dem eigenen Gewissen, um vor seinen eigenen Augen und den Augen der Welt seine Verhaftung mit den irdischen Gütern zu rechtfertigen? Ich gestehe allerdings auch zu, dass seine väterliche Liebe sein einziges Motiv sein könnte, aber ist dies ein Grund, um seine Brüder und Schwestern vor Gott zu vergessen? Wenn er selbst im Überfluss lebt, wird er seine Kinder im Elend hinterlassen, nur weil sie ein bisschen weniger von diesem Überfluss bekommen? Gibt er ihnen damit nicht eine Lektion des Egoismus und lässt sie ihr Herz verhärten? Wird dies nicht bei ihnen die Nächstenliebe ersticken? Väter und Mütter, ihr begeht einen großen Fehler, wenn ihr glaubt, dass ihr damit die Liebe eurer Kinder zu euch vergrößert, indem ihr eure Kinder bebringt, anderen gegenüber egoistisch zu sein, lehrt ihr sie, es auch euch gegenüber zu sein.
Wenn ein Mensch viel gearbeitet hat und mit dem Schweiß seines Angesichts Güter gesammelt hat, hört ihr ihn gewöhnlich sagen, dass man besser ihren Wert zu schätzen weiß, wenn das Geld dafür selbst verdient wurde: nichts ist wahrer. Nun gut! Wenn dieser Mann, der zugibt, den ganzen Wert des Geldes zu kennen, die Nächstenliebe gemäß seiner Möglichkeiten ausübt; wird sein Verdienst größer sein als das von demjenigen, der im Überfluss geboren wurde und die großen Anstrengungen der Arbeit nicht kennt. Falls der gleiche Mensch, der sich seiner Mühen, seiner Anstrengungen erinnert, im Gegensatz dazu egoistisch ist, hart den Armen gegenüber, dann ist er noch schuldiger als die anderen; denn je mehr man selber die versteckten Schmerzen der Armut kennt, je mehr sollte man bestrebt sein, diese bei den anderen zu lindern.
Leider gibt es bei dem besitzenden Menschen immer auch ein Gefühl, das ebenso stark ist, wie das sich klammern an den Reichtum: das des Hochmuts. Nicht selten sieht man den Emporkömmling, wie er den um Hilfe bittenden unglücklichen Menschen dadurch verwirrt, dass er ihm von seiner Arbeit und Geschicklichkeit erzählt, anstatt ihm zu helfen, und der am Ende noch zu ihm sagt: „Mach es so, wie ich es gemacht habe.“ Aus seiner Sicht hat die Güte Gottes nichts mit seinem Reichtum zu tun; nur ausschließlich ihm allein kommt das Verdienst zu. Sein Hochmut legt ihm eine Binde über die Augen und verschließt ihm seine Ohren. Trotz seiner ganzen Intelligenz und großen Geschicklichkeit begreift er nicht, dass Gott ihn mit einem einzigen Wort stürzen kann.
Den Reichtum zu verschwenden bedeutet nicht, sich von den irdischen Gütern zu lösen, sondern ist eine Missachtung und Gleichgültigkeit. Der Mensch, Verwalter dieser Güter, hat nicht das Recht, sie zu verschwenden, wie auch nicht, sie zu seiner eigenen Gunst zu vereinnahmen. Die Verschwendung ist keine Großzügigkeit, dies ist häufig eine Art des Egoismus. Jemand, der das Gold mit vollen Händen wegwirft, nur um eine Phantasie zu befriedigen, gibt oft keinen einzigen Cent, um jemandem einen Dienst zu erweisen. Die Loslösung von den irdischen Gütern besteht darin, den eigentlichen Wert des Reichtums schätzen zu wissen, diese zu Gunsten der andern einzusetzen und nicht nur für sich selber; die Interessen des zukünftigen Lebens nicht für sie aufzuopfern und sie auch ohne zu murren verlieren zu können, falls es Gott gefällt sie wegzunehmen. Falls durch unvorhergesehene Rückschläge ihr ein zweiter Hiob werdet, dann sagt wie er: „Herr, DU hast es mir gegeben und hast es mir genommen; dass DEIN Wille geschehe“. Das ist die wahre Loslösung. Seid erstens demütig; habt Vertrauen in denjenigen, der euch gegeben und genommen hat und euch wieder zurückgeben kann. Widersteht mutig der Niedergeschlagenheit, der Hoffnungslosigkeit, die eure Kraft lähmen. Vergesst nie, dass wenn Gott euch vor harten Prüfungen stellt, ER immer einen Trost beilegt. Aber denkt vor allem daran, dass diese Güter unendlich viel kostbarer sind als jene der Erde, und dieser Gedanke wird euch helfen, euch von den irdischen Gütern loszulösen. Je weniger Wert man einer Sache beimisst, je desto weniger empfindlich trifft uns ihr Verlust. Der Mensch, der sich an seine irdischen Güter hängt, ist wie ein Kind, das nur den Augenblick sieht. Derjenige, der sie loslässt, ist, ist wie der Erwachsene, der andere Dinge als wichtiger betrachtet, weil er die prophetischen Worte des Herrn versteht: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
Der Herr befiehlt nicht, sich dessen zu entledigen, was man besitzt, um sich freiwillig zu einem Bettle zu machen, und damit zu einer Last für die Gesellschaft zu werden. So zu handeln würde bedeuten, dass man die Loslösung von den irdischen Gütern falsch verstanden hat. Dies wäre eine andere Art von Egoismus, denn es bedeutet, sich von der Verantwortung frei zu machen, die Reichtum all denen auferlegt, die ihn besitzt. Gott gibt demjenigen das Vermögen, den er für geeignet hält, es zum Nutzen aller zu verwalten. Der Reiche hat also eine Mission; eine Aufgabe, die er schön und nützlich für sich machen kann. Den Reichtum abzulehnen, wenn Gott ihn euch gibt, bedeutet auf den Nutzen des Guten zu verzichten, den man damit erreichen kann, wenn man ihn weise verwaltet. Darauf verzichten zu können, wenn man ihn nicht hat; ihn nützlich zu verwenden, wenn man ihn besitzt; ihn zu opfern, wenn dies nötig ist; dies bedeutet, gemäß den Absichten des Herrn zu handeln. Derjenige, der das bekommt, was die Welt ein gutes Vermögen nennt, möge sagen: „Mein Gott, DU hast mir eine neue Aufgabe gestellt; gib mir die Kraft sie zu erfüllen, gemäß DEINEM heiligen Willen!“
Dies ist, meine Freunde, was ich euch über die Loslösung von den irdischen Gütern lehren wollte. Kurz gefasst sage ich: Lernt, mit wenig zufrieden zu sein. Wenn ihr arm seid, beneidet nicht die Reichen, denn der Reichtum ist nicht nötig für das Glück. Wenn ihr reich seid, vergesst nicht, dass euer Vermögen euch anvertraut wurde und dass ihr seine Verwendung rechtfertigen müsst, wie bei der Abrechnung einer Vormundschaft. Seid kein untreuer Verwahrer, indem ihr ihn nur zur Befriedigung eures Stolzes und euer Sinnlichkeit benutzt. Glaubt nicht, das Recht zu haben, nur für euch persönlich darüber verfügen zu dürfen, ihr habt es nur als Darlehen bekommen und nicht als Schenkung. Wenn ihr es nicht mehr zurückgeben könnt, habt ihr kein Recht mehr, darum zu bitten, und merkt euch, dass derjenige, der den Armen gibt, die Schulden bezahlt, die er bei Gott gemacht hat. (Lacordaire, Konstantinopel, 1863)
Übertragung des Reichtums
15. Nimmt der Grundsatz, gemäß dem der Mensch nur Verwalter des Reichtums ist, den Gott ihm während seines Lebens zu genießen erlaubt, ihm das Recht, ihn seinen Nachkommen weiterzugeben?
Gewiss kann der Mensch nach seinem Tod das weitergeben, wovon er Zeit seines Lebens Nutznießer war, weil die Wirkung dieses Rechts immer von dem Willen Gottes abhängig ist, der zu verhindern weiß, wenn ER es will, dass jene Nachkommen darauf Anspruch haben. Aus diesem Grund sieht man Reichtümer, die auf solider Grundlage erschienen, zusammenbrechen. Der Wunsch des Menschen, seinen Reichtum seiner Nachkommenschaft zu erhalten, ist daher machtlos, aber es ist ihm nicht das Recht genommen, das erhaltene Darlehen weiterzugeben, Gott wird es aber wegnehmen, wenn ER das für richtig hält. (Sankt Ludwig, Paris, 1860)