DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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8. Die Vorurteile der Welt, über die man sich geeinigt hat, Ehrensache zu nennen, rufen diese leicht verletzbare Empfindlichkeit hervor, die aus Hochmut und Überspanntheit der Persönlichkeit entstanden ist, die den Menschen dazu führt, Beleidigung mit Beleidigung und Kränkung mit Kränkung zu vergelten, was als Gerechtigkeit für denjenigen gilt, dessen Moral nicht über das Niveau der irdischen Leidenschaften hinausgeht. Das mosaische Gesetz schrieb deshalb vor: Auge um Auge, Zahn um Zahn; ein Gesetz, passend zu der Zeit, in der Moses lebte. Christus kam und sagte: Vergeltet Böses mit Gutem. Weiterhin sagte Er: Leistet dem Bösen, das man euch antun möchte, keinen Widerstand; wenn man euch auf die eine Wange schlägt, bietet auch die andere an. Für den Hochmütigen scheint diese Aufforderung eine Feigheit zu sein, weil er nicht versteht, dass eine Beleidigung zu ertragen mehr Mut verlangt, als sich zu rächen; und der Grund für diese Auffassung ist immer der gleiche, da er nicht über die Gegenwart hinauszublicken vermag. Soll man nun jenes Gebot wörtlich nehmen? Nein, ebenso wenig wie das andere, welches das Auge herauszureißen befiehlt, wenn es Anlass für einen Anstoß gibt. Diese Lehre bis zur letzten Konsequenz befolgt, würde jegliche Bestrafung verurteilen, selbst die nach dem öffentlichen Gesetz, und somit den Bösen volle Handlungsfreiheit lassen, indem man ihnen jegliche Furcht nimmt; wenn man ihren Aggressionen keinen Einhalt gebieten würde, wären die Guten sehr schnell ihre Opfer. Dieser Selbsterhaltungstrieb, der ein Naturgesetz ist, sagt uns, dass wir dem Mörder nicht freiwillig den Hals hinhalten sollen. Mit diesen Worten hat Jesus somit nicht die Verteidigung verboten, sondern die Rache verurteilt. Indem Er sagt, dass wir die andere Wange anbieten sollen, wenn wir auf die eine geschlagen wurden, bedeutet dies mit anderen Worten:


– dass man das Böse nicht mit dem Bösen vergelten soll;


– dass der Mensch demütig alles annehmen soll, was dazu dient, seinen Hochmut zu verringern;


– dass es edler für ihn sei, geschlagen zu werden, als zu schlagen, geduldig eine Ungerechtigkeit zu ertragen, als selbst eine zu begehen;


– dass es besser ist, betrogen zu werden, als selber ein Betrüger zu sein, ruiniert zu werden, als die andern zu ruinieren.


Dies ist gleichzeitig die Verdammung des Duells, das nichts anderes als eine Äußerung des Stolzes ist. Der Glaube an das zukünftige Leben und an die Gerechtigkeit Gottes, die das Böse nie ungestraft lässt, kann allein die Kraft geben, geduldig die Angriffe auf unsere Interessen und unsere Selbstachtung zu ertragen. Deshalb sagen wir unaufhörlich: Blickt nach vorne, in die Zukunft; je mehr ihr eure Gedanken über das materielle Leben hinaus erhebt, desto weniger werden die irdischen Dinge euch verletzen.